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: Pop hört nie auf: Das Ineinandergleiten der Generationen

Nach der Quarterlife-Krise

Es war ein böser Satz, den Robert an diesem trüben, heißen Mittwochnachmittag im Weinbergswegpark so leichtfertig dahinsagte: „Zu Sonic Youth zu gehen, das ist wie zu den Rolling Stones zu gehen.“ Das saß. Da hatte Brinkmann sich geraume Zeit schon auf dieses Konzert gefreut, und dann muffelte Robert ihn so von der Seite an. Ausgerechnet Robert! Der hatte eine Minute vorher noch gesagt, dass er demnächst auf ein Konzert von American Analog Set ins Bastard gehen würde und dass er gespannt sei auf das neue Album der Flaming Lips.

Brinkmann war beleidigt. Waren die Flaming Lips oder American Analog Set etwa Ausdruck hippster Jugendkultur?, fragte er sich auf dem Nachhauseweg und überlegte, wütend wie er war, dass Sonic Youth schon immer das Gegenmodell zu der Indiemuffeligkeit von Bands wie American Analog Set gewesen waren.

Andererseits hatte Brinkmann beim Durchblättern der Musikmagazine natürlich festgestellt, wie alt Sonic Youth inzwischen aussahen. Wie viel Rock-’n-’Roll-Lifestyle sich doch in die Gesichtszüge von Kim Gordon gegraben hatte! Und der ergraute Lee Reenaldo erst! Fotos, die trotzdem eine Menge Würde ausstrahlten. Die Brinkmann aber auch bewusst machten, dass er Sonic Youth schon über fünfzehn Jahre hörte. Robert hatte natürlich nicht Unrecht: Zu ihrem Konzert würde er vor allem gehen, weil die Band einfach ein Teil seiner Sozialisation war. Brinkmann fragte sich dann, wie lange das jetzt wohl noch gehen würde mit Pop, Plattenkaufen und dem Dadrüberreden. War das nicht mittlerweile wie mit der Modelleisenbahn spielen? Ein freundliches Hobby? Etwas, über das man sprach, wenn sonst nichts mehr zu sagen war?

Manchmal fremdelte Brinkmann schon ein wenig. So wie vor kurzem bei einem Auftritt der ewigen Jungs vom Jeans Team im Tacheles. All die 20-Jährigen dort! Er musste dann an ein Telefonat mit seinem Bruder denken. Dieser hatte ihm erzählt, dass er vergangene Nacht wieder einmal im Kreuzberger Mysliwska einen getrunken hätte, mit Axel F. Nach ein paar Bier wären die beiden wieder ganz weit in ihrer niedersächsischen Vergangenheit gewesen. Bei Frau Waldt und Anja Kohlmann, Brinkmann wüsste schon. Vor allem aber, so Brinkmanns Bruder, hätte er sich im Mysliwska unwahrscheinlich wohl gefühlt, weil seine Altersklasse komplett vertreten gewesen sei, ab 30 aufwärts. Zum Beispiel auch Herr Diederichsen, der dort mit irgendeiner Postgraduierten-Klasse irgendwas gefeiert habe.

Nach einigen Songs des Jeans Teams jedoch war Brinkmann das mit den Altersgenossen auch wieder egal. Da gab es haufenweise magische Momente. Solche hatte Brinkmann ein paar Wochen vorher auch schon gespürt, als er nach einer Party im NBI noch im Ostgut landete und nicht vor acht Uhr morgens dort rauskam. Das war toll.

Das Grübeln ging also weiter. In der Groove schrieb Simon Reynolds, Nu Wave habe „den Nerv einer Generation getroffen, die zu jung ist, um Rave in seinen energiegeladenen, anarchistischen Anfangstagen kennen gelernt zu haben“. Brinkmann überlegte, wann Rave war, und kam zu dem Schluss, dass hier ein mindestens 40-Jähriger anscheinend genau wusste, was gerade mal 20-Jährige so hörten.

Würde wohl noch lange dauern, bis die 20-Jährigen sich artikulierten. Jedes Schreiben über Pop führte schließlich schon seit je altersbedingte Reflexionen mit sich. Ja, jeder Popschreiber ist eigentlich schon viel zu alt für die Musik, über die er schreibt, dachte sich Brinkmann. Obwohl, hatte nicht gerade die Intro den Schauspieler, Musiker und Fast-noch-Teenie Robert Stadlober auf die US-Band Guided By Voices angesetzt? Auf einen, wie Brinkmann wusste, ziemlich zerknittert aussehenden Mittvierziger? Stadlober war superbegeistert und schrieb da was von „Erfindern des Indierock“. Brinkmann wiederum erinnerte sich gut an die eigene Begeisterung, nachdem er Guided By Voices vor zehn Jahren live in New York gesehen hatte. Götter! Inzwischen musste er jedoch bei dem Rock von Guided By Voices immer an The Who denken. Und The Who hatte er immer als ganz junger Knabe gehört. „Quadrophenia“ und „Who’s Next“. Merkwürdig.

Immerhin beruhigte ihn Roberts Freundin Rollergirl an besagtem Nachmittag im Weinbergswegpark. Sie erzählte, dass vor der Midlifecrisis schon die so genannte Quarterlifecrisis auftreten könnte. Die würde im Moment gerade viele Mitt- und Endzwanziger besonders in Mitte ereilen, das hätte sie in der SZ gelesen. Brinkmann war sich sicher: Die Quarterlife-Krise hatte er hinter sich, die würde ihn bei Sonic Youth sicher nicht beschäftigen. GERRIT BARTELS