piwik no script img

Ausländerbehörde weiter unter Beschuss

Von 2.800 Bleiberechtsanträgen sind nur 1.100 bearbeitet. Vorwurf im Sozialausschuss: Verfahren für traumatisierte Flüchtlinge aus Exjugoslawien werden verschleppt und psychotherapeutische Atteste unbegründet angezweifelt

Eigentlich ist die Sache klar: Laut einem Beschluss der Innenministerkonferenz vom November 2000 sollen traumatisierte Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien relativ problemlos einen festen Aufenthaltsstatus bekommen können. Doch nach Einschätzung von Experten setzt die Berliner Ausländerbehörde alles daran, kein Bleiberecht zu erteilen und die Verfahren zu verschleppen. Auch die Altfallregelung greife nicht: Mindestens zwei Jahre müssen Flüchtlinge gearbeitet haben, um Bleiberecht zu erhalten, doch die dazu nötige Arbeitserlaubnis werde selten erteilt. Derweil werden – wie zuletzt Mitte Mai – die Abschiebungen in Berlin wieder aufgenommen: Der Abschiebestopp für Kosovoflüchtlinge ist Ende März ausgelaufen.

Auf der Sitzung des Senatsausschusses für Gesundheit, Soziales und Migration am Donnerstag schilderten die Experten verschiedener Organisationen den Abgeordneten das Vorgehen der Ausländerbehörde. „Akribisch suchen die Sachbearbeiter nach formalen Fehlern in den Anträgen der Asylbewerber“, berichtete etwa Psychotherapeut Ralf Weber vom Behandlungszentrum für Folteropfer. „Dabei gehören Unregelmäßigkeiten, beispielsweise bei der zeitlichen Einordnung von Ereignissen, zum Krankheitsbild.“ Fachlich seien die Sachbearbeiter der Ausländerbehörde nicht in der Lage, einzuschätzen, ob im Einzelfall eine Traumatisierung vorliegt.

„Es spielen sich dadurch Dramen ab, wie ich sie noch nie erlebt habe“, ergänzte Dietrich Koch, Mitarbeiter von Xenion, einer psychotherapeutischen Beratungsstelle für politisch Verfolgte. Auch in Fällen, bei der die Kriegstraumatisierung deutlich dokumentiert sei, habe die Ausländerbehörde entsprechende Anträge als „offensichtlichen Missbrauchsversuch“ abgelehnt. Von 2.800 Anträgen in Berlin sind bisher lediglich 1.100 bearbeitet worden. 425 davon sollen nach Einschätzung der Behörde missbräuchlich sein. „Anderslautende Atteste von Fachleuten werden in Zweifel gezogen, meist werden wir jedoch erst gar nicht konsultiert“, klagt Koch. Insgesamt leben in Berlin derzeit rund 11.000 Flüchtlinge aus Exjugoslawien. Der unsichere Aufenthaltsstatus und auch die Befragungen stellen, so Koch, ein zusätzliche Belastung für die Flüchtlinge dar. Es sei etwa vorgekommen, das Vergewaltigungsopfer Sachbearbeitern detailliert von ihrer Traumatisierung berichten sollten.

Die Ärztekammer Berlins, bot dem Senat an, bei der Erstellung eines einheitlichen Gutachtenverfahrens und bei der Erstellung einer Gutachterliste zu helfen. Ihr Vertreter Horst Kallfass erklärte: „Wir missbilligen, dass Patienten aus der Behandlung heraus abgeschoben werden.“ Auch in anderen Bereichen steht die Berliner Ausländerbehörde in der Kritik. Erst kürzlich hatten Berliner Menschenrechtsorganisationen moniert, dass eine Senatsanweisung zur Vermeidung von Abschiebehaft in der Praxis nur unzureichend umgesetzt wird.

„Ich bin froh, nicht an dieser Regierung beteiligt zu sein. Ich schäme mich für ein solches Verwaltungshandeln“, reagierte Claudia Hämmerling (Grüne) auf die Schilderungen. Auf Antrag ihrer Fraktion war die Expertenanhörung zustande gekommen. Thomas Kleineidam (SPD) hingegen wies darauf hin, dass es falsch sei, „Feindbilder aufzubauen“. Die Ausländerbehörde dürfe nicht durchgehend als ungeeignet hingestellt werden. Diskutiert oder nach Lösungen gesucht wurde auf der Senatssitzung nicht. Das Thema wurde auf das nächste Treffen verschoben. Auf der zeitgleich zur Ausschusssitzung stattfindenen Innenministerkonferenz in Bremerhaven wurde ein Rückführungsprogramm für 30.000 Kosovoflüchtlinge beschlossen.

CHRISTOPH SCHULZE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen