berliner szenen Der Hirschgemäldekauf

Auf der Pirsch

Es ist nicht leicht, einen röhrenden Hirsch zu besorgen. Auf keinen Fall darf man sich zu auffällig für den Hirsch interessieren. Auch die Frage nach dem Preis sollte man eher beiläufig stellen. Ein zu auffälliges Kaufinteresse an einem Hirsch treibt schon das Erstgebot des Händlers in die Höhe – allzu oft wird die Frage nämlich nicht gestellt. Zu dick ist die Staubschicht auf den Wald-und-Hirsch-Idyllen. Und man muss vorsichtig sein und Meisterwerke von Schund unterscheiden können!

So ist gerade das Röhren des Hirsches die eigentliche Herausforderung an den Künstler. Schon die Verdickung des Halses gerät der ungeübten Hand schnell zum Kropf. Vor allem jedoch die Darstellung des kleinenRauchwölkchens vor dem geöffneten Maul trennt die Spreu vom Weizen. Es muss genügend transparent erscheinen, um dem Tier nicht wie eine Sprechblase vor dem Maul zu schweben, in die der Kunstbanause geneigt sein könnte, den Schriftzug „Röhr!“ einzutragen. Gleichzeitig muss es sich klar vom Hintergrund abheben, um nicht als ungewollte Verfärbung der Leinwand missgedeutet zu werden. Nur das Genie ist in der Lage, das Atemwölkchen so zu gestalten, dass in ihm der edle Charakter des Hirsches voll zur Geltung kommt!

Das einzige preislich akzeptable Exemplar, das ich an einem Montagnachmittag in den Kaufrevieren in Treptow, Neukölln und Kreuzberg finde, ist denn auch ein Stück Nippes, auf dem der Hirsch aussieht, wie ein Schäferhund mit Geweih, dem eine schlaffe Kaugummiblase aus dem Hals hängt. 80 Euro will die Händlerin dafür haben und kontert meine Bedenken mit dem Argument: „Da gehn Se mal nach Mitte und fragen mal, was die Maler da für ihre Bilder haben wollen!“ TOBIAS HERING