Der Frosch kehrt zurück

Die Frequenz des Berliner Radiosenders Hundert,6 wird neu vergeben. Nach dem Abschied von Ideologiekeule Georg Gafron hofft jetzt sein alter Widersacher Thomas Thimme auf die Lizenz

von HEIKO DILK

Die deutsche Nationalhymne erklingt nicht mehr auf der Frequenz 100,6. Die Berliner Regierungskoalition heißt nicht mehr „rot-dunkelroter Senat“ und die PDS auch nicht mehr SED-Nachfolgepartei: Georg Gafron hat sich verabschiedet. Vom Radiosender Hundert,6, dessen Geschäftsführer er war. Und von tv.berlin, wo er mit den gleichen Parolen zum Kampf gegen PDS, rot-grün oder eben rot-dunkelrot aufrief. Was gibt es für nette Geschichten über Gafron: Von seinem Plastiksoldaten, den er Besuchern gerne vorführt, weil der so schön mit dem Maschinengewehr ballert. Wie er seine Mitarbeiter mit einem fröhlichen „An die Gewehre!“ aus der Morgenkonferenz verabschiedet. Von den festen Telefonzeiten, die er mit seiner Frau vereinbart hatte.

Die braucht es jetzt nicht mehr. Denn mit dem Niedergang des Leo Kirch schrumpfte auch Gafrons kleines Reich, für das ihm die FAZ mit liebevoller Häme einst den Ehrentitel „einflussreichster Lokaljournalist der Republik“ verliehen hatte. Radio und TV sind futsch, was bleibt, ist immerhin noch der Chefsessel der B.Z., Berlins größter Boulevardzeitung.

Neuer Geschäftsführer bei Hundert,6 ist derweil ein alter Bekannter von Gafron: Thomas Thimme, der 40 Prozent der Senderanteile von der Familie Kirch übernommen hat. Kleiner Schönheitsfehler: Wegen dieser Änderung im Gesellschafterkreis hat die zuständige Medienanstalt Berlin Brandenburg (MABB) die Frequenz neu ausgeschrieben. Auch Thimme muss sich neu bewerben. Zwar bekommt bei solchen Ausschreibungen häufig der bisherige Betreiber den Zuschlag, doch Thimme soll seit seinem Antritt schon zehn Leute entlassen haben. Das sieht die MABB nicht gerne.

Aber der Reihe nach: 1987 gründete der Filmemacher Ulrich Schamoni Hundert,6 mit Gafron als Chefredakteur. Als Gegengewicht zum, nach Gafrons Auffassung, linken öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dabei gelang auch ihm nur etwas wortlastigerer Dudelfunk, aber immer wenn Hundert,6 um 19 Uhr Sendeschluss hatte und die Frequenz für das alternative Radio 100 freimachen musste, dudelte die Nationalhymne über den Äther. Und Radio 100 antwortete mit der Klospülung. An der Kette: Thomas Thimme. 1991 allerdings war es vorbei mit dem linken Radio, Thimme musste Konkurs anmelden.

1994 kreuzten sich seine und Gafrons Wege noch einmal: Thimme machte für einige Monate den Geschäftsführer des regionalen Fernsehsenders 1A Berlin-Brandenburg. Doch dann wurde der Sender an Kirch verkauft. Aus 1A wurde tv.berlin, und Gafron beerbte Thimme als Geschäftsführer. Hundert,6 war da zeitweise schon Marktführer unter den Berliner Lokalradios.

Doch die glorreichen Zeiten des ideologisch auf Fronstadtkurs stehen gebliebenen Programms sind längst vorbei, zuletzt ging es stetig bergab. Laut der aktuellen Media Analyse lockte das Programm nur noch 68.000 Hörer pro Stunde.

Und Gafron ideologisierte munter weiter: Zum Berliner Wahlkampf vergangenen Herbst musste Hundert,6 für eine Agitprop-Kampagne herhalten: „Berlin darf nicht vergessen – Keine Macht den Tätern“ stand auf Anzeigen, die für den Sender werben sollten, darunter wurden die Untaten der SED aufgezählt. Kurier und Berliner Zeitung, die ihre Leserschaft in erster Linie im Ostteil der Stadt haben, weigerten sich, die Anzeige zu drucken. Gafron brachte seine sämtlichen Medien gegen den Berliner Verlag in Stellung, wähnte sich zensiert und drohte mit dem Bundesverfassungsgericht.

Aber das ist auch schon wieder Geschichte. Am 23. April 2002 durfte Thimme endlich mal von Gafron übernehmen.

Ob ihm der Posten lange erhalten bleibt, ist ungewiss: Bis heute Mittag um 12.00 Uhr müssen die Anträge für die neu ausgeschriebene Frequenz 100,6 MHz bei der MABB eingegangen sein. Angeblich hat Thimme starke Konkurrenz: Auch der Holtzbrinck-Konzern (Handelsblatt, Tagesspiegel, Zeit, n-tv) versuche, über sein Tochterunternehmen AVE ins Berliner Radiogeschäft einzusteigen, heißt es in der Branche.

Doch Thimme glaubt an seine Chance: „Die News-Orientierung des Programms werden wir beibehalten“, sagt er. Zwar soll es kürzere Nachrichtenstrecken geben, die aber aktuell und viermal pro Stunde. Und vor allem nicht, wie zuletzt unter Gafron, nachmittags nur noch als Konserve: „Ab 14 Uhr war der Sender automatisch gesteuert, das kann so ein Unternehmen sich nicht erlauben“, sagt Thimme. Die Kündigungen erklärt er damit, dass sich die „Prioritäten verschieben“. Es würden ja auch neue Stellen geschaffen, „im Moderationsbereich und im Marketing“.

Einige Mitarbeiter aber gewinnen immer mehr den Eindruck, Thimme agiere eher planlos. Vor allem die Personalpolitik stößt vielen auf. Ein Ehemaliger berichtet, dass der einstige Chef vom Dienst der Tagesredaktion jetzt in der On-Air-Promotion arbeite. NachrichtenassistentInnen sollen das Programm moderieren – oder mal eben als Außenreporter den Preis von einem Pfund Tomaten erforschen. Auch dass Thimme jetzt das Image des Senders als „Froschfunk“ wiederbelebt – schließlich war der Frosch schon ganz zu Anfang das Hundert,6-Maskottchen– stößt auf Skepsis: Die Jungles, die Thimme wieder spielen lässt, sind schließlich satte 12 Jahre alt.