Absturz in der Mark Brandenburg

aus Brand BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Wenn Roland Riedel morgens in sein Büro fährt, führt ihn sein Weg durch Kiefernwälder. Sattes Grün harmoniert mit blauen Lupinen, die den Weg säumen. Man möchte das Fenster runterkurbeln und tief durchatmen. Doch sobald er den Schlagbaum erreicht und dem Pförtner seinen Mitarbeiterausweis gezeigt hat, ist Schluss mit der ländlichen Idylle. Ab hier beginnt das Gelände der CargoLifter AG. Auf einer holprigen Betonpiste geht es vorbei an leer stehenden Lagerhallen, Stapeln alter Holzbohlen und baufälligen Baracken.

Hier in Brand scheint die Vergangenheit präsenter zu sein als die Zukunft. Zu DDR-Zeiten war das 500 Hektar große Gelände die größte Militäranlage des Warschauer Pakts und wegen der stationierten Atomwaffen absolutes Sperrgebiet. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Heute steht der Name des 400-Einwohner-Ortes im Brandenburgischen, sechzig Kilometer südlich von Berlin, für CargoLifter, das Luftschiffbau-Unternehmen mit Visionen. Am Freitag hat die CargoLifter AG Insolvenz angemeldet.

Seit anderthalb Jahren kommen jeden Monat tausende Besucher, um wenige Kilometer hinter dem Schlagbaum in die Zukunft zu blicken. Hinter den Baumwipfeln erhebt sich eine Halle von Schwindel erregenden Ausmaßen: 63.000 Quadratmeter Grundfläche. 14 Boeing 747, die größten Verkehrsflugzeuge der Welt, würden hineinpassen. Oder 9 Fußballfelder.

Global Player in der Mark

Doch gedacht ist die Halle für das größte Luftschiff der Welt, den 260 Meter langen und mit Helium gefüllten „CargoLifter CL 160“, der Lasten bis zu 160 Tonnen Gewicht von Kontinent zu Kontinent transportieren können soll. Das Unternehmen CargoLifter ist vor sechs Jahren angetreten, um aus Zeppelinschiffen Global Player der internationalen Luft- und Raumfahrt zu machen.

Doch bevor das Luftschiff zu Ende entwickelt ist, hat sich der Wind gedreht. Nachdem die Kosten immer wieder nach oben korrigiert wurde und die Entwicklungszeiten wegen technischer Probleme nach hinten verschoben werden mussten, steht das Unternehmen jetzt vor der Pleite. In der Werfthalle ist lediglich die Hülle für das Luftschiff zu sehen. Leitwerke, Antriebe und die anderen Komponenten fehlen. Das Projekt liegt schon lange auf Eis.

Der Pressesprecher des Unternehmens bittet um Verständnis dafür, dass Gespräche mit den Produktionsmitarbeitern derzeit nicht möglich sind. Wegen der laufenden Gespräche mit potenziellen Geldgebern darf nur mit ausgewählten Mitarbeitern gesprochen werden. In einem Raum, der mit einer Glasscheibe von der Halle abgetrennt ist, haben zwei von ihnen den Kopf auf den Tisch gelegt. Andere lesen mit sehr ernsthaften Gesichtern Zeitung. Die Maigehälter für die knapp 500 Mitarbeiter sind noch nicht gezahlt. Doch nach außen verbreitet die Unternehmensleitung Optimismus.

Roland Riedel ist Diplomingenieur und im Standort Brand zuständig für die technische Außendarstellung des Unternehmens. „Head of Technical Communication“ steht auf seiner Visitenkarte. Man glaubt kaum, dass er erst 33 Jahre alt ist. Das liegt weder an den grauen Haaren noch an der Brille. Es sind die Ernsthaftigkeit und Reife, mit denen er von seiner Arbeit erzählt. Er hatte schon immer „ein Faible für die Luftfahrt“. Als Kind malte er kaum ein Bild, auf dem nicht ein Hubschrauber zu sehen war. Weil der Vater ein „sehr engagierter Elektrotechniker“ war und auch er selbst sich dafür interessierte, studierte er in Gießen Elektrotechnik mit Spezialisierung auf Nachrichtentechnik. „Das braucht man in der Luftfahrt.“

„Eine einmalige Chance“

Nach zwei Jahren in einem Ingenieurbüro in Gießen, wo Riedel unter anderem langsam laufende Elektromotoren zum Schleifen von Brillengläsern entwickelte, suchte er neue Herausforderungen. Als er in einer Ingenieurszeitschrift über CargoLifter las, fand er die Idee „auf Anhieb toll“. Trotzdem legte er den Artikel erst mal beiseite. „Es war nicht zu entnehmen, wo das Ganze passieren sollte, und ich dachte nicht, dass Deutschland so innovativ denken kann.“

Als er über Bekannte erfuhr, dass „der technische Arm“ des Unternehmens sein Büro in Gießen hatte, bewarb er sich und wurde als siebter Mitarbeiter eingestellt. Woanders hätte er mehr Geld verdienen können und nicht umziehen müssen. Doch Riedel entschied sich für das Luftschiff und den Umzug nach Zossen, eine halbe Autostunde von seinem neuen Arbeitsplatz entfernt. „CargoLifter ist eine Innovation, die einem im Ingenieursleben vermutlich nur einmal als Chance geboten wird.“

Mit seiner Körpergröße von 1,88 Metern gibt Riedel eine stattliche Figur ab. Doch betritt er die 360 Meter lange und 210 Meter breite Werfthalle, verliert er sich in den 5,5 Millionen Kubikmetern, wo sich die Arbeiter auf Rollern oder alten DDR-Fahrrädern fortbewegen. Insolvenzanträge hin oder her – Riedel lässt sich nicht erschüttern in seinem Glauben an eine Zukunft des Luftschiffprojekts. Denn er hat eine Vision. „Ich sehe in meinem Kopf Luftschiffe.“ Riesige Luftschiffe, die tonnenschwere Lasten über Brücken, Täler und Flussläufe transportieren. Luftschiffe als hoch fliegende Plattformen oder niedrig fliegende Satelliten.

Jetzt macht er sich so seine Gedanken um den Industriestandort Deutschland. „Hier gibt es ein mentales Problem, mit neuen Dingen umzugehen.“ Besonders weh tut es ihm, wenn das Projekt in Frage gestellt und übersehen wird, was bisher geschafft wurde. Sicher, räumt er ein, der Projektplan sei „supersportlich“ gewesen. Und sicher wäre es besser gewesen, nicht erst im Mai 2000, sondern drei Jahre früher an die Börse zu gehen. Doch: „Im Nachhinein ist man immer schlauer.“

Riedel kommt in Fahrt. „Wenn ich mich immer so absichern will, jede Fehlentscheidung auszuschließen, kann ich kein Unternehmen mehr führen.“ Er erklärt es an einem Beispiel. „Bei wie vielen Häusern, die jedes Jahr in Deutschland gebaut werden, gelingt die Fertigstellung wie geplant?“ Riedel schüttelt den Kopf. „Nein, Innovationen mit Rentengarantie sind eher selten.“ Er hofft nun auf den vorläufigen Insolvenzverwalter Rolf-Dieter Mönning, auf Umstrukturierungen und erfolgreiche Gespräche mit Banken, Land und Bund.

Hoffnung auf Aircrane

Als CargoLifter mit der Umsetzung des Traums vom Fliegen begann, war die Euphorie groß. Über 70.000 Anleger ließen sich anstecken von der Idee des weltweit größten Luftschiffs und investierten 300 Millionen Euro. Auch Politiker fingen Feuer und gaben sich die Klinke in die Hand. Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach bei einem Besuch vor anderthalb Jahren von „einem Stück großer deutscher Ingenieurskunst“. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller nannte CargoLifter ein „höchst interessantes Projekt“, sein Ministerium half zusammen mit dem Land Brandenburg mit einer Bürgschaft. Auch die Europäische Union ließ sich nicht lumpen und stellte 77 Millionen Euro für die Schaffung von 239 Arbeitsplätzen in Brand zur Verfügung. In der gesamten Region hängen 1.200 Arbeitsplätze dran.

Bisher ist nur ein kleiner Teil der Vision von Riedel wahr geworden. In Form des „CL 75 Aircrane“, einer eigenen Produktionslinie, die derzeit ebenfalls auf Eis liegt: ein Ballon, der 85 Meter hoch ist und bis zu 75 Tonnen transportieren kann. Stolz hatte CargoLifter im März verkündet, einen Vertrag über die Lieferung eines Aircrane nach Kanada unterzeichnet zu haben. Vor wenigen Wochen hieß es dann, dass bis zum Sommer kommenden Jahres 70 Millionen Euro für den Aircrane fehlen. Doch nun, vor dem Hintergrund des Insolvenzantrags, gilt diese Summe nicht mehr.

„Es tut verdammt weh“

Wilbert van den Hengel, Diplomwirtschaftsingenieur aus Holland, den die Liebe in die Region brachte und der bei CargoLifter zuständig ist für Machbarkeitsstudien, Vertrieb und Marketing, will sich zur Einhaltung des Vertrags nicht äußern. „Wir sind immer noch optimistisch, weil wir von unserem Projekt überzeugt sind“, sagt der kräftige 33-Jährige mit der Halbglatze. Die Insolvenzanträge seien für ihn keine Überraschung gewesen. „Das war doch über Monate abzusehen, wenn kein Umsatz ist und nichts dazukommt.“ Sicher habe es Verzögerungen im Zeitplan und Korrekturen beim Finanzvolumen gegeben. „Aber“, wirft er ein, „es wurde oft vergessen, dass wir Wege gehen, die keiner zuvor gegangen ist.“

Van den Hengel breitet seine Arme vor dem Aircrane aus und hebt die Stimme. „Wir reden hier nicht über Toastbrot!“ Klar habe die gegenwärtige Krise „erhebliche Auswirkungen“, sagt er mit leiserer Stimme. „Es tut verdammt weh.“ Doch auch darüber will er nicht reden. „Ich drehe den Spieß mal um“, sagt er und spricht von „Nachfragen aus der ganzen Welt“ und „unvorstellbar wichtigen Erfahrungen“. CargoLifter sei zum „Spielball der Politik“ geworden, schimpft er. „Das ist sehr schade. Denn wir können dieses Luftschiff bauen! Punkt.“ Jetzt müssten sich Belegschaft, Bund und Land zusammen an einen Tisch setzen. „Ohne einander den schwarzen Peter zuzuschieben.“

Unterschütterlich zeigen sich auch etwa einhundert engagierte Aktionäre, die sich vor zwei Wochen zu der Initiative „Zukunft in Brand“ zusammengeschlossen haben. Am Samstag luden sie zu einem „C-Day“ auf das ehemalige Militärgelände ein. „Um dem Innovations- und Technologiestau in Deutschland entgegenzutreten“, wie es in ihrem Aufruf heißt. Und um erneut einen Weltrekord zu wagen. Mit Unterstützern und Sympathisanten des Projekts sollte der Grundriss des Luftschiffs im Originalmaßstab nachgestellt werden. Auch Riedel war dabei. Er hält CargoLifter-Aktien „im vierstelligen Bereich“. Doch ein Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde hat wenig mit seinen Visionen zu tun.