Agaporniden allein zu Hause

In der Neuen Welt kommen sie in die Suppe, in der Alten in den Käfig. Ein Berliner Verein will nun das Single-Dasein der Papageienart beenden

„Fast alle konnten sprechen, ein Zeichen, dass sie falsch gehalten wurden“

von HENNING KRAUDZUN

„Der Wunsch, ein Tier zu halten, entspringt einem uralten Grundmotiv – nämlich der Sehnsucht des Kulturmenschen nach dem verlorenen Paradies“, brachte es der österreichische Verhaltensforscher Konrad Lorenz einst auf den Punkt. Nichts könnte treffender formuliert sein, wenn sich sein Zitat auf die bunt gefiederte Eleganz in Käfigen bezöge. Papageien verkörperten schon immer als extravagante und zuweilen vorlaute Begleiter des Menschen diese Sehnsucht.

Dem alten Kapitän hockt er auf der Schulter, über Adam und Eva auf dem Baum der Sünde. Wenn Künstler das Paradies malten, durften diese farbenprächtigen Vögel auf den Bildern nicht fehlen. Im Gepäck der Handlungsreisenden gelangte der Papagei nach Europa; in Amerika noch zu Geflügelsuppe verarbeitet, wurde er nun in der Alten Welt als exotischer Gesandter einer fernen Welt bestaunt. Der Tierpapst Brehm nannte ihn einen „befiederten Affen“ – ein Witz des Forschers, versteht sich.

Heute ist vom Paradies nicht mehr viel übrig. Papageien und ihre Verwandten, die Sittiche, fristen ihr Dasein im Käfig. Einmal flattern, und schon stoßen ihre Schnäbel an die Gitterstäbe. Von artgerechter Haltung, ein Schlüsselwort des vergangenen Jahres, sind sie so weit entfernt wie von ihrer tropischen Heimat. Die meisten sind verhaltensgestört. Sie rupfen ihre eigenen Küken, sind aggressiv oder nicken ununterbrochen mit dem Kopf. Viele füttern das Spiegelbild oder kuscheln mit dem Käfiggenossen aus Plastik. Den Tieren fehlt dabei vor allem der Partner.

Das Alleinsein macht viele Papageien krank, vor allem aber die Agaporniden, zu Deutsch: die „Unzertrennlichen“. Deren Singledasein will der Berliner Verein „Agaporniden in Not“ beenden. Über Vogel-Foren im Internet lernten sich die Mitglieder kennen. Hinter dem Verein, der eher eine global agierende Tierschutzorganisation vermuten lässt, steckt eine Partnervermittlung vor allem für Ziervögel. Außerdem werden kranke Tiere, die keiner mehr haben will, von den Mitgliedern in Volieren gepflegt. Über Vogelpatenschaften finanziert der Verein diese „Altersheime für Papageien“.

Anne Pohl ist im Vorstand von „Agaporniden in Not“. Ein wenig fällt sie dort aus der Reihe, da ihr Herz den Wellensittichen gehört. Ein Dutzend dieser aufgeregt flatternden Krummschnäbel hält sich Pohl in ihrer Schöneberger Wohnung und hat ein Zimmer für sie reserviert. Die meisten Sittiche nahm sie in Pflege. Diese müssen bei ihr so lange warten, bis sich der passende Partner findet, wenn sie nicht schon die neue Liebe gefunden haben. Pohl umsorgt ihre Vögel mehrere Stunden am Tag. Wer krank wird, kommt in die vergitterte Quarantäne und wird mit Enzymen aufgepäppelt. Bei so viel Zuneigung: Wie eine verwirrte Vogelmutti mit zerzaustem Haar und Strickjacke sieht Anne Pohl nicht aus. Mit ihrem eleganten Äußeren und sympathischen Lächeln ist sie das genaue Gegenteil.

Den ganzen Tag das Gezwitscher um sie herum könne sie auch nicht ertragen, sagt Pohl. Die Autorin schreibt gerade an Essays für einen großen Verlag und braucht eigentlich Ruhe. „Dann mache ich einfach die Tür zu“, sagt sie – als mutierten ihre Lieblinge manchmal zu Quälgeistern. Jeder Sittich kam mit irgendeiner Macke zu ihr, inzwischen verhalten sich die meisten wieder normal. „Fast alle konnten sprechen, ein Zeichen, dass sie falsch gehalten wurden“, erklärt Pohl. Weil ihnen der Partner zum Kommunizieren gefehlt habe, suchten sie den Kontakt zum Menschen. Von manchen Besitzern würden sie zum Nachplappern allerlei Obszönitäten trainiert. Ein Sittich, den Pohl eine Zeit lang versorgte, krächzte sogar wie ein Graupapagei.

In 34 Prozent aller deutschen Haushalte, belegt eine Statistik des Tierschutzbundes, bellt, miaut oder zwitschert es. Knapp fünf Millionen Ziervögel leben hierzulande in Wohnungen – eine kaum abnehmende Zahl, trotz Computerboom in den Kinderzimmern. Viele exotische Exemplare werden noch immer illegal importiert. „Wer sich ein Heimtier hält, will entweder einen Partnerersatz oder mit seinem kleinen Freund angeben“, behauptet Pohl. Das Prahlen gelte vor allem für die Haltung von Papageien. „Die sind mittlerweile Statussymbole.“ Je ungewöhnlicher, desto teurer: Für manche Papageien müssten bis zu 5.000 Euro bezahlt werden, weiß Pohl. Zumeist sind es seltene Arten, für die Käfighaltung gänzlich ungeeignet.

Der exotische Vogel im sinnbildlich goldenen Käfig, das ist eben nicht mehr als traurige Dekadenz. War es bereits in der höfischen Gesellschaft, wo der ewig plappernde, einsame Zeitgenosse nach seinem Ableben sogar in Gold verewigt wurde. Eine Erinnerung, zugleich ein Prunkstück. Heute würde das außer einem abgedrehten Modezar keiner mehr machen. Die Menschen trauern für einen Moment um ihren „Bubi“ oder „Pipi“, dann kaufen viele beim Zoohändler das nächste Exemplar. Bis auch dieser sich auch vor Langeweile die Krallen abknabbert und eines Tages von der Stange fällt.

Fast unspektakulär gegenüber den imposanten Großpapageien erscheinen die Agaporniden, ohne weit aufragendes Kopfgefieder oder dem gefährlich krummen Schnabel. Die „Unzertrennlichen“ sehen den Wellensittichen ähnlich, mal abgesehen von ihrem eigenartig stechenden Blick, oder den vielen Farbtupfern auf dem Federkleid. Sie sind in Rosenköpfchen, Pfirsichköpfchen, Erdbeerköpfchen oder Schwarzköpfchen unterteilt, man möchte bei diesen fantasievollen Namensgebungen die Kreativität der Ornithologen anzweifeln. Nach unzähligen Zuchtexperimenten sehen sie noch nicht einmal so aus.

Aber warum sind ausgerechnet Agaporniden in Not? Der Titel käme schon etwas reißerisch daher, sie sei auch nicht glücklich darüber, meint Pohl. Das Problem bestehe einfach darin, dass Agaporniden nur als Pärchen verkauft werden. Wenn einer von ihnen stirbt, bekommt man nur schwer die gleiche Papageienart als Ersatz. Deshalb können sich die Besitzer auf der Webseite des Vereins einen künftigen Partner für ihr Tier aussuchen, danach beginnt ein Testlauf. Passen beide zusammen, muss der Vogelfreund nur noch einen kleinen Obolus als Vermittlungsgebühr bezahlen. Zudem lässt der Verein bereits das Geschlecht untersuchen, per DNA-Analyse einer Feder. „Ob Weibchen oder Männchen, das kann keiner mit bloßem Auge erkennen“, sagt Pohl.

Aus dem Hobby wurde Arbeit, gerecht unter den Mitgliedern aufgeteilt. In ganz Deutschland stehen Volieren des Vereins, überdies wurden feste Vermittlungsstellen eingerichtet. Daneben gibt es zahlreiche Helfer, die Tiere für eine kurze Zeit aufnehmen können. Ein engmaschiges und aufwändiges Netzwerk der Vogelfreaks.

Belächelt und als verrückt erklärt werde man dennoch, sagt Pohl. Aber das Herz für Tiere kann darüber großzügig hinwegsehen. Wenn es die Vögel gut haben, haben die Beschützer der einsamen Papageien ihre Aufgabe erfüllt. Von einem Paradies träumen andere.

Weitere Infos im Internet: www.agaporniden.de