Wenn der Akteur sich selber spielt

Er sucht das Außergewöhnliche und findet wuchernde Erinnerungen, Malaria und Tod: Sibylle Bergs jüngst uraufgeführtes Stück „Herr Mautz“ als Gastspiel aus Oberhausen bei den Autorentheatertagen am Thalia Theater

Manche Menschen suchen das Glück und lachen sich tot. Manche suchen es in einem Hotelzimmer im Fernen Osten, wo die Schaben Hula tanzen. Heutige Stoffe und radikale Inszenierungen suchte Jurorin Christiane Dössel bei der Auswahl der Gastspiele für die Autorentheatertage am Thalia Theater.

Da liegt es nahe, sich Sybille Berg und ihrem jüngst im Theater Oberhausen uraufgeführten Werk Herr Mautz zuzuwenden. Eigentlich ist Herr Mautz der Durchschnitt schlechthin, ein blässlicher Mann mit Bauchansatz und Kassenbrille. Vom Ruhestand in die Sinnlosigkeit entlassen, sucht er das Außergewöhnliche auf einer Asienreise. Und findet nur Malaria und Tod.

Doch vorher muss er sich mit drei Kakerlaken herumschlagen, die sich in Wiedergänger seiner Erinnerungen verwandeln. Am Anfang war da noch ein Hoffen auf „ein Gefühl der Anarchie“, am Ende bleibt nur die Sinnlosigkeit. Zugang zu seiner eigenen Gefühlswelt hat Mautz nie gefunden. Erst schloss er mit Beziehungen, Lebensentwürfen und Worten, später auch mit der körperlichen Begierde ab. Das alles wäre deprimierend anzuschauen, gäbe es nicht die Regie von Klaus Weise, der all die Albernheiten und Abgründigkeiten im lakonischen Humor der Berg gekonnt ins Trashige überspitzt, eine schwüle Puffbude auf die Bühne stellt und die frechen Schaben in Phantasiekostümen La Cuccaracha singen lässt.

Am wichtigsten ist allerdings der Hauptdarsteller: Alles fing damit an, dass der Schauspieler Rolf Mautz 2000 in Oberhausen in der Theaterversion des Bergschen Erzählbandes Manche Menschen suchen das Glück und lachen sich tot spielte. Bei den Probenarbeiten kamen sich Schauspieler und Autorin näher. Die Inspiration verfing, und als Resultat darf Herr Mautz auf der Bühne jetzt Herrn Mautz spielen. Und er überzeugt: Mit hängenden Schultern und sonorer Stimme schleicht er mit fragendem Blick über die Bühne. Kein Zweifel, Herr Mautz ist mitten unter uns. Überall.

Mit diesem Schachzug erweist sich die Berg als eine exzellente Alltagsbeobachterin und als Kennerin des Theaters, mit dem sie eigentlich nie etwas zu tun haben wollte. Denn natürlich erinnert Herr Mautz auch an Thomas Bernhards pseudobiographische Stoffwahl. Außerdem blitzen immer mal Nietzsche, Camus, Conrad und Houellebecq auf. Und wie bei ihren Vorbildern huscht auch bei Berg ein Hauch von Moral durch diese amüsante Todeslitanei.

Annette Stiekele