Mädchen die Jungs

Ganz egal, ob es nun Popmusik ist oder die Preisliste von Drospa: Die Pop-Zweck-WG Bro’Sis versetzte in der Arena ihr junges Teenie-Publikum in hysterische Wallungen

Alexa gehört zum reifen Teil des Publikums. Sie ist vielleicht fünfzehn, trägt ein smartes Street-Style-Outfit und steht mit einer Freundin etwas abseits. „Mein kleiner Bruder findet die Hila so toll“, sagt sie. Wen? „Na, Hila!“ Keine Ahnung. Irritiert schätzen die Blicke des Mädchens ihr Gegenüber ab. Mitten im Hexenkessel der Arena, mitten im Aerobic-Programm von Bro’Sis steht jemand, der noch nie von Hila gehört hat.

Hila ist das so genannte Küken der Pop-Zweck-WG Bro’Sis. Sie ist achtzehn, beneidenswert durchtrainiert und – wie die Bravo nachgezählt hat – seit dem 239. Tag mit Kollege Faiz in Liebe vereint. Der bullige Schwarze kündigt die Angebetete als „schönste Frau der Welt“ an. Der Saal tobt. Wie romantisch muss Liebe sein. Was das für Hormonschübe mit sich bringt, ahnen die Reihvorderen wohl kaum.

Ein spezielles Areal am Fotograben ist für die Zuschauer bis zehn abgesperrt – damit sie überhaupt etwas sehen können. In der Hallenmitte stehen weitere Podeste für die kleinen, aber kaufgeilen Fans zur Verfügung. Indira, Giovanni, Shaham, Ross und das Traumpaar feiern derweil ihre Choreografie in Weiß ab. Sie besteht im ersten Drittel darin, die Bühnenseiten so oft wie möglich zu wechseln oder einen Steg im Hintergrund abzulaufen. Dazwischen singen sie, wenn ihnen nicht die Luft wegbleibt oder das Mikro nicht falsch eingestellt ist, belangloses Zeug oder schreien: „Berlin! Deutschland-Hauptstadt!“

So richtig hören kann man sowieso nichts. Eine nicht enden wollende Brandung von hysterischem Begeisterungsgekreische fegt durch die Halle. Ebbt der Chor wirklich einmal ab, fragt einer der Bühnenknechte: „Wer von euch hat Popstars gesehen?“ Dann strapazieren die Jüngsten wieder ihre Stimmbänder – und kriegen morgen in der Schule keinen Ton heraus.

Make no mistake: Das Spektakel sind die Jungs und nicht die Mädchen, schon gar nicht die Musik. Wenn der süße Giovanni oder Bad Boy Shaham ihre Solo-Einlage kredenzen, geraten die Pre-Teens nicht außer Kontrolle, weil Marc Cohens „Walking In Memphis“ gerade in einer Eins-zu-eins-Coverversion zu hören war. Die Herren könnten ebenso die Preisliste von Drospa vortragen, solange sie dabei kurz mal das Shirt lüften und die Zehnjährigen mit rotierenden Hüften anbaggern. Gibt es umgekehrte Pädophilie? Irgendwann ist das einzige Album durch, der Steril-Mix aus Pop und R & B genügend abgeschliffen. Da kündigt das Sextett das Unvorstellbare an: Lasst uns rocken! Bei Bro’Sis definiert man das Genre wie folgt: Faiz imitiert eine Beat-Box und der blonde Ross führt eine Art Riverdance auf. Danach stürzen sich alle Beteiligten in ein Medley von „We Will Rock You“ und „The Final Countdown“. Kinder stampfen wie hospitalisiert auf dem Boden, und die Jungs lassen sich an allen Ecken einmal sehen. „Guck mehr nach links, du Idiot“, schreit eine junge Frau, ehrlich aufgebracht. Doch Faiz verschwindet. Selbst Bro’Sis können es nicht allen recht machen.

ULF LIPPITZ