philipp maußhardt über Klatsch: Das wäre doch gelacht
Wer mir etwas anvertraute, konnte immer schon sicher sein, dass es nicht unter uns blieb
Reden ist Silber. Wie die Weisheit weitergeht, habe ich schon in der Kindheit vergessen. Ich habe immer alles gesagt, was ich wusste: Wer die Bananenschalen im Klassenzimmer liegen ließ, wer „Frau Pohl ist eine Sau“ auf den Schulhof mit Kreide schrieb und welche Geräusche ich nachts aus dem elterlichen Schlafzimmer hörte. Wer mir etwas anvertraute, konnte sicher sein, dass es nicht unter uns blieb.
Der Beruf des Journalisten lag also nahe. Volontärsvater Müller, auch liebevoll „Müllerchen“ genannt, verstärkte noch meine Neigung, alles auszuplaudern, was ich an privaten Dingen von anderen erfuhr. „Ein Journalist, der nicht schreibt, was er weiß, ist kein Journalist!“ Ich nahm’s zu Herzen und schrieb, was mir am Abend davor unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt worden war.
In der eigenen Familie wurde es daraufhin schweigsamer, wenn ich den Raum betrat. Als mein Psychologenvater einmal die gesamte SPD-Ratsfraktion meiner Heimatstadt behandelte, weil die untereinander heillos zerstrittenen Genossen nur durch therapeutische Hilfe wieder zueinander fanden, hatte ich keine Hemmungen, die Neuigkeit sofort den Medien mitzuteilen. Papa war natürlich stinkig, berufliche Schweigepflicht und so fort. Unser Verhältnis war kurzzeitig getrübt.
In den 70er-Jahren versuchte mich einmal in Leipzig die Stasi anzuwerben. Bei unserem ersten Treffen in einem Restaurant der Innenstadt habe ich ihnen alles erzählt, was ich als Student damals wusste. Es war nicht viel, aber die beiden Spitzel machten zufriedene Gesichter und verabredeten sich mit mir zum nächsten Termin. Zurück im Westen, ging ich dann sofort zur Staatsschutzabteilung der Reutlinger Polizei und berichtete ihnen ausführlich über die Stasi-Leute aus Leipzig. So erkannten beide Seiten schnell, dass aus mir niemals ein guter Doppelspion werden würde.
Nur einmal hat mir ein Freund nicht verziehen: Wir wohnten zusammen in Köln, er arbeitete bei Bioleks Talkshow und hatte immer nette Geschichten auf Lager von hinter der Bühne. Eine davon habe ich für ein schmales Zeilengeld als Anekdote verbraten. Am Erscheinungstag redete mich mein Freund mit „Sie“ an und schrieb mir dann einen Brief, in dem er mir die Freundschaft kündigte. Er redet bis heute kein Wort mehr mit mir. Mir tut das Leid.
Die Nacht, in der ich meine heutige Frau kennen lernte, verbrachten wir zusammen in einer Diskothek, in der heftig Haschisch geraucht wurde. Sie ist katholische Religionslehrerin, und ich fand die Nachricht doch sehr amüsant, an welchen Orten man katholischen Religionslehrerinnen begegnet. Also stand es ein paar Tage später in der Lokalzeitung. Damals drohte sie mir: noch einmal – und die Beziehung ist zu Ende.
Warum ich das alles erzähle? Letzte Woche wurde mir eine Klageschrift einer bedeutenden Münchner Rechtsanwaltskanzlei zugestellt. Ich hätte etwas geschrieben, was ich nicht hätte schreiben dürfen. In einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hatte ich die Szene aus der Bunte-Redaktion geschildert, als die berühmten Badefotos von Verteidigungsminister Rudolf Scharping auf dem Redaktionstisch lagen. Man habe damals darüber in der Redaktion sehr laut gelacht. Das sei ein Verstoß gegen den Arbeitsvertrag, schrieb der Anwalt, in dem ich zur Verschwiegenheit über Redaktionsgeheimnisse verpflichtet sei. Nun soll ich durch das Münchner Arbeitsgericht in der nächsten Woche dazu verpflichtet werden, einen Brief an Scharping zu schreiben, in dem diese Veröffentlichung bedauert wird.
Tatsächlich: Es steht wirklich in diesem Arbeitsvertrag, den ich bei der Gelegenheit zum ersten Mal las, dass Journalisten nicht über alles schreiben dürfen. Mir war das neu.
Kann man einem Bäckergesellen verbieten, vom eigenen Teig zu naschen? Darf man Frisören vorschreiben, mit der nächsten Kundin nicht über die vorherige zu tratschen? Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, aber einem Klatschjournalisten den Klatsch zu untersagen, kommt mir doch reichlich sittenwidrig vor.
Die Holländer sind mir deshalb so sympathisch, weil sie so wenig Gardinen vor ihren Fenstern hängen haben. Zwar steht man stundenlang vor den Scheiben, starrt hinein, und es passiert nichts. Aber grundsätzlich ist man eingeladen, am privaten Leben teilzunehmen. Es gab mal eine kurze Zeit auch in Deutschland, da wurden in vielen Wohngemeinschaften die Klotüren ausgehängt. Als Akt der Befreiung von den bürgerlichen Fesseln. Den etwas strengeren Geruch in der Wohnung nahm man in Kauf, um dafür im Gegenzug zur Gewissheit zu gelangen, dass der Gleichheitsgrundsatz unter den Menschen zumindest an diesem Ort funktioniert.
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