Chinas neue Auto-Vergötterung

Die Pekinger Automesse huldigt der ausländischen Ware. Unter den Herstellern herrscht dagegen ein neuer Realismus: Die Zahl der privaten Käufer wurde deutlich überschätzt, die Produktionskosten im Land sind nicht wesentlich billiger

„Wir haben die Wachstumsrate des chinesischen Automarktes deutlich überschätzt“

PEKING taz ■ Kaum eine andere Weltmetropole hat so schöne und breite Fahrradwege wie Peking. Morgens und abends sind sie gedrängt voll mit Berufspendlern. Doch zu anderen Tageszeiten kann es einem auf der berühmten Straße des Himmlischen Friedens schon mal passieren, dass man mit dem Fahrrad eine ganze Spur für sich allein hat, während sich auf den Nebenfahrbahnen die Autos stauen. Noch vor ein paar Jahren war das umgekehrt: Die Fahrradwege blieben den ganzen Tag lang voll, die Autospuren dagegen leer.

„Die Chinesen sind im Autofieber. Jeder will eins haben“, erklärt Dreiradfahrer Wu Qingyun den Motorisierungsdrang seiner Mitbürger. Gewöhnlich fährt der Radunternehmer deshalb Touristen, die nach einem alten Peking-Erlebnis suchen. Doch in dieser Woche hat Wu seine Dreipersonenrikscha vor dem riesigen Ausstellungsgelände der „Auto China“ aufgebaut, der größten chinesischen Automesse, die bis heute in Peking stattfindet. Vom Messeeingang fährt Wu die Besucher zum nächsten Taxistand. „Nur Fahrräder sind auf dem Ausstellungsgelände zugelassen“, freut sich Wu. Niemand aber käme mehr auf die Idee, mit Wus Gefährt ins nächste Stadtviertel zu fahren.

Auf der Messe ist Chinas Wandel vom Zweirad- zum Vierradland augenfällig. Schon kurz nach Öffnung herrscht Riesengedränge. Alle Altersgruppen sind vertreten: kaufinteressierte Familien, flanierende junge Päarchen, schaulustige Alte. Sie stürmen die Stände der insgesamt 1.200 Aussteller aus aller Welt – die Messe ist damit größer als je zuvor. Ein merkwürdiger Kontrast entsteht: Fast alle umlagerten Modelle sind ausländischer Bauart, doch kaum ein Ausländer ist auf der Messe zu sehen. Schließlich sind es Chinesen, die in China ausländische Autos kaufen und verkaufen. Selbst beim führenden Volkswagenkonzern, der rund die Hälfte des chinesischen PKW-Marktes kontrolliert, arbeiten nur noch wenige deutsche Manager in China. Auch sind es Chinesen, die die Fachpresse zu den ausländischen Autos schreiben. Wobei der Eindruck entsteht, als würden die sonst selten zur Idealisierung des Westens neigenden Chinesen in puncto Auto eine Ausnahme machen. „Niemand glaubt an die Qualität der chinesischen Autos“, erklärt Messebesucher Li Wei und schaut auf einen Sportwagen der heimischen Firma Hafei, den sonst niemand ins Auge nimmt. „Das Auto ist einfach schlecht ausgestattet“, urteilt Li brüsk. Unter den Armen hält er Plastiktüten voller Werbebroschüren, für die die Messebesucher oft lange anstehen müssen.

Der Run auf Benz-Poster und BMW-Aufkleber zeigt: China hat noch keine eigenständige Autokultur. „Die Chinesen halten einen Volkswagen nicht für ihr eigenes Produkt, obwohl er in China hergestellt wird“, beobachtet der Pekinger Schriftsteller Xu Xing, der dem Auto gleichwohl einen Bewusstseinswandel zuschreibt: „Man fühlt sich mit Auto freier und unabhängiger. Man sieht mehr Dinge, trifft mehr Menschen.“

Noch aber ist das Auto in der Volksrepublik kein Massenprodukt im chinesischen Maßstab, nur die Städte sind voller Blechkarossen. 1990 gab es in China erst 816.000 PKWs, 1999 zwar schon 5,34 Millionen, doch belegt auch diese Zahl nur, wie klein der Kreis der Auto fahrenden Chinesen innerhalb einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden ist. Selbst die Prognosen der Branchenexperten sind vorsichtig geworden: Eine Million verkaufter PKWs für das Jahr 2005 sieht etwa Roland Berger voraus, 2010 dann zwei Millionen. In diesem Jahr will die Branche 800.000 Personenwagen verkaufen.

Das alles ist weit entfernt von früheren Zielen der Autobauer. „Wir haben die Wachstumsrate des chinesischen Automarktes überschätzt“, räumt VW-Asien-Pazifik-Präsident Bernd Leißner in Peking ein. Für die globalen Autofirmen wurde China nicht nur wegen der Marktöffnung und möglicher zweistelliger Wachstumsraten attraktiv, sondern auch weil die Märkte in Europa und den USA stagnieren. Mittlerweile sind einige Vorurteile über das Milliardenreich ausgeräumt. Keineswegs billiger ist etwa, Autos in China herzustellen. Auch die Marktentwicklung wurde lange überschätzt. Ein Finanzierungssystem, das den privaten Autokauf ankurbeln würde, lässt auf sich warten. Leißner: „Die Zahl der privaten Autokäufer wurde zu optimistisch kalkuliert.“ Nicht überschätzt aber wurde die Autobegeisterung der Chinesen. Wie die Besucher auf der „Auto China“ das vielfarbig ausgestellte Blech tätscheln und streicheln, wie sie strahlen, wenn sie sich für Sekunden vor einem Steuerrad niederlassen dürfen – das alles verspricht der Branche jenes Maß an Irrationalität, das sie gerade in dem bevölkerungsreichsten Land der Welt braucht, um zu reüssieren. Denn wer denkt heute an die Folgen? „Zwischen Freiheit und Auto gibt es für mich keine Beziehung mehr, seit Peking voller Staus ist“, klagt Santana-Fahrer Cui Jian. Doch von seinem Volkswagen wieder zurück auf das Fahrrad zu steigen, kommt auch für Chinas berühmtesten Rockstar nicht in Frage.

GEORG BLUME, KRISTIN KUPFER