Das Ende ist nur ein neuer Anfang

Was die Kirch-Mitarbeiter merken werden: Der Chef sitzt nicht mehr in München. Was die Zuschauer merken werden: Es wird an Qualität gespart

von STEFFEN GRIMBERG

Auch wenn die Meldungen des gestrigen Nachmittags eigentlich das Gegenteil zu sagen schienen: Die Wiederauferstehung der Kirch-Gruppe unter neuer Leitung steht unmittelbar bevor. Gestern beantragten wie erwartet auch die Kirch-Beteiligung GmbH & Co. KG und Taurus, die Dachgesellschaft des Konzerns, Insolvenz beim Münchner Amtsgericht. Damit ist die Existenz der Kirch-Gruppe offiziell beendet – und der Weg zum umfassenden Neuanfang frei.

Für Kirchs Free-TV und Rechtehandelsgeschäft KirchMedia will ein Konsortium unter Führung der Commerzbank bieten. Und beim hoch verschuldeten Pay-TV-Ableger Premiere legen die Gläubigerbanken noch einmal rund 100 Kreditmillionen nach. Sie sollen das Unternehmen auf Sendung halten und Premiere-Chef Georg Kofler Zeit verschaffen, nach neuen Investoren zu suchen. Als Interessenten gelten unter anderem die Hollywoodstudios Warner Bros. und Paramount, aber auch der US-Kabelnetzbetreiber Liberty Media.

Für die Fernsehzuschauer bleibt zunächst allerdings alles beim Alten: Die eigentlichen Sender der Kirch-Gruppe selbst sind mit Ausnahme der Lokalprogramme wie tv.berlin nicht von der Insolvenz betroffen, von Krise kann hier kaum die Rede sein. Die Mitarbeiter müssen sich schon eher umorientieren: Die neuen Herren von Sat.1 und ProSieben sitzen nicht mehr in München und Umgebung, sondern künftig in Essen, Berlin und Frankfurt am Main. Der Commerzbank-Vorstand gab gestern gegen Mittag offiziell grünes Licht für ein Konsortium, das die bisherige KirchMedia übernehmen soll.

„Wir werden die Transaktion federführend begleiten. Grundvoraussetzung ist dabei die Gründung des neuen Unternehmens als Aktiengesellschaft“, sagte Commerzbank-Kreditvorstand Wolfgang Hartmann gegenüber der Agentur Reuters. Verbindliche Details lassen zwar noch auf sich warten. Doch gilt als sicher, dass nach Wünschen der Bank die Essener WAZ-Gruppe und die Sony-Tochter Columbia Tristar führend in diesem Konsortium vertreten sein sollen. Die WAZ könnte nach Commerzbank-Planung 40 Prozent der Anteile an der neuen Firma übernehmen, die Film- und Fernsehproduktionsholding Columbia Tristar weitere 20 Prozent. Der Rest verbliebe zunächst bei der Bank, die laut Hartmann auf mittlere Sicht ihren Anteil an der neuen Gesellschaft auf rund 25 Prozent reduzieren und diesen an die Börse bringen will.

Da die endgültige Zustimmung der WAZ-Gruppe bis gestern Nachmittag noch ausstand, machte die Commerzbank Druck: „Wir sind offen für weitere Partner und nicht zwingend auf die WAZ-Gruppe angewiesen“, sagte Hartmann. Insgesamt hatten rund 50 Unternehmen Interesse am Kirch-Erbe bekundet. Allerdings gilt von den bisherigen deutschen Bietern allein der Zeitungsriese aus dem Ruhrgebiet als ernst zu nehmende Größe.

Dort gibt es hinter den Kulissen offenbar noch Streit zwischen den beiden Familienclans, die den Konzern kontrollieren. Während WAZ-Geschäftsführer Erich Schumann als Kirch-Erbe bereitsteht, ziert sich die zweite Gesellschafterfamilie. Denn mit dem Einstieg bei Kirch würde ein neues Fernsehzeitalter im Hause WAZ anbrechen – und das in fast ganz Europa aktive Unternehmen an die Spitze der deutschen Medienkonzerne gleich hinter Bertelsmann vorrücken. Bisher gefiel man sich allerdings als reines Verlagshaus und begnügte sich im TV-Geschäft eher mit der Rolle als Juniorpartner: Mit rechnerisch rund 7,5 Prozent der Anteile ist die WAZ bei der RTL Group des Bertelsmann-Konzerns mit im Boot. Hier wäre bei erfolgreichem Umstieg auf die Kirch-Sender der Ausstieg aus kartellrechtlichen Gründen unumgänglich. Entsprechenden Gesprächsbedarf habe die Essener WAZ-Zentrale bereits beim Bertelsmann-Hauptquartier in Gütersloh angemeldet, berichtet die Financial Times Deutschland.

Dass sich die WAZ den endgültigen Einstieg in die unberechenbare Welt des Fernsehens nicht leicht macht, ist verständlich: Sie müsste als stärkster Medienkonzern im Commerzbank-Konsortium die Führung übernehmen, hat aber kaum TV-Know-How. Columbia Tristar ist dagegen über seine TV-Produktionstochter im deutschen Fernsehmarkt fest etabliert, was die Position im Konsortium aufwerten dürfte. Kleiner Schönheitsfehler: Die meisten Programme liefert die auf Comedy und Soaps spezialisierte Firma („Alles Atze“, „Nikola“, „Ritas Welt“, „Die Camper“) für RTL.

Bei den Sendern der ProSiebenSat.1 Media AG, an der die bisherige KirchMedia 52 Prozent der Anteile hält, betrachten die Mitarbeiter derlei Planspiele mit gemischten Gefühlen: „Wir wollen vor allem wissen, woran wir sind“, heißt es unisono. Begeistert ist man von der WAZ-Variante verständlicherweise nicht: Für den Ruhrgebietskonzern geht es stets um möglichst hohe Renditen. Keine guten Aussichten für eine Sendergruppe, deren Gewinne selbst in guten Jahren nie an die der RTL-Programme heranreichten.

Ein drastischer Sparkurs nach WAZ-Manier – der Konzern will im profitablen Tageszeitungsgeschäft „in allen Bereichen“ seine Kosten um weitere zehn Prozent senken – würde vor allem Sat.1 treffen. Der „Familiensender“ der ehemaligen Kirch-Familie konnte seit 1984 gerade einmal zwei Geschäftsjahre mit Gewinn abschließen. Die hohe Zahl an teuren Eigenproduktionen dürften den WAZ-Controllern ein Dorn im Auge sein: Da wurde Qualität an den Erwartungen des eigenen Publikums vorbeiproduziert. „Wambo“ oder „Vera Brühne“ floppten bei der Quote, brachten dem Sender aber Imagegewinn und Nominierungen zum Grimme-Preis.

So wird Deutschlands größte Unternehmenspleite der Nachkriegszeit Medienmanagern, Insolvenzverwaltern und Kreditjongleuren auf Monate spannende Unterhaltung garantieren – im Programm regiert künftig planbare Langeweile, so bunt und bleischwer wie bei RTL. Denn nur so, das wissen WAZler wie Banker, gewinnt man die Marktführerschaft nebst optimaler Verwertungskette. Insoweit ist die Krise von Kirch doch eine Krise der Zuschauer.