Tiefe Trauer in Toyama

Kroatien verliert 0:1 gegen Außenseiter Ecuador, verspielt das Achtelfinale und ermöglicht so dem redlich ratlosen WM-Favoriten Italien, sich unverdientermaßen in die zweite Runde zu mogeln

aus Yokohama MARTIN HÄGELE

Die Menschen in dem Städtchen Toyama sind besonders gute Gastgeber, und sie hatten ihren Besuch auch richtig lieb gewonnen. Sie könnten doch noch länger hier bleiben, bat der Hotelmanager die kroatische Fußball-Delegation, und auch wenn für sie das Turnier in Daegu oder Jeonju weitergehe, kein Problem, vom benachbarten Flughafen Niigata gebe es ideale Flugverbindungen nach Korea. Doch statt übers Japanische Meer fliegen die Kroaten nach ihrem enttäuschenden 0:1 gegen Ecuador nun über Sibirien und Moskau zurück in die Heimat. Und außer den Leutchen vom Tourismusbüro in Toyama ist wohl kein Fußballfreund allzu traurig gewesen, dass sich die WM-Dritten von 1998 am Donnerstag vorzeitig verabschiedet haben.

Die Leidenschaft, die die Redaktionen und die bei ihrem Lieblingssport sehr temperamentvollen Bürger des Urlaubslands an der Adria in den nächsten Tagen entwickeln werden, wird mit Sicherheit um einiges intensiver sein als jene Gangart, mit welcher sich die Herrschaften mit dem Schachbrett-Trikot gegen Ecuador bewegt haben. Ins Achtelfinale der verrücktesten WM aller Zeiten kommt man nicht, ohne zu schwitzen. Wenn die Legionärsauswahl auch nur halbwegs jene Kampfes- und Laufbereitschaft gezeigt hätte wie beim 2:1-Erfolg über Italien, würden nun am Flughafen Rom die Tomaten sortiert zum Empfang der Squadra azzurra.

Aber irgendwie schienen weder die Profis aus dem jungen Balkanstaat noch der Trainer Mirko Jozic zu kapieren, welch große Chance sie verspielten. „Wir waren keine richtige Mannschaft, und auch unsere Individualisten waren nicht in der Lage, etwas zu bewegen“, hat der kroatische Coach hernach gesagt. Und das ist etwa so, als wenn man sich selbst eine runterhaut. Sie besaßen keinen Plan, wie sie der gewiss nicht Furcht erregenden Kicker aus Südamerika Herr werden sollten. Und als Jozic dann nach dem überraschenden Rückstand zu Beginn der zweiten Halbzeit mit einiger Verspätung reagierte, machte er bei seinen Wechselmanövern praktisch alles falsch. Nun hatte Spielmacher Niko Kovac ganz bestimmt nicht seinen besten Tag. Doch als der Profi vom FC Bayern München vom Feld musste, war die ohnehin schon brüchige Hierarchie der kroatischen Auswahl endgültig zerstört. Der junge Vranjes, Reservist bei Bayer Leverkusen und eher ein Typ Zerstörer im Mittelfeld, zeigte sich mit der Aufgabe, dem Spiel der Kollegen Konturen zu geben, total überfordert.

Aber wenigstens, und das war das Schöne an einer der bisher schwächsten Partien dieses Turniers, erhielten die Kroaten noch Anschauungsunterricht, wie man sich ordentlich verabschiedet von dieser globalen Sportmesse. „Wir haben unser Land glücklich gemacht mit dem ersten Sieg bei einer WM“, erklärte Trainer Hernan Dario Gomez, und das sei ein Riesenerfolg für sein Team, „schließlich sind wir wie eine große Familie.“ Der Spieler Aguinaga grüßte Frau und Kinder übers Staatsfernsehen aus Yokohama, und schon kurz nach Abpfiff waren in Quito trotz der frühen Morgenstunden WM-Partys losgegangen.

Die Intensität, mit welcher die Ecuadorianer auf dem Rasen feierten, ließ auf die Bedeutung schließen, die das im Weltsport bislang kaum hervorgetretene Andenland dem ordentlichen WM-Debüt beimisst. Schließlich sind in Ecuadors Sportchronik außer der Goldmedaille des Gehers Jefferson Perez (Atlanta 1996) und dem Triumph von Andres Gomes auf dem Roten Sand von Roland Garros kaum Höhepunkte verewigt. Das Tor von Edison Mendez und die couragierte Vorstellung des WM-Außenseiters haben dort nun ihren Platz gefunden. Und auch die Organisatoren fühlten sich als Sieger. Wo sonst wohl hätte man 65.862 Zuschauer bei Regenwetter auf die Beine gebracht, um ein Fußballspiel zwischen Ecuador und Kroatien zu verfolgen?

Die Italiener konnten sich bei den tapferen Ecuadorianern bedanken, denn sonst hätte nach Argentinien und Frankreich der nächste große WM-Favorit heimfliegen können. Erst der von Trainer Trapattoni ungeliebte und deshalb spät eingewechselte Alessandro del Piero glich in Oito fünf Minuten vor Schluss die mexikanische Führung aus der 34. Minute durch Jared Borgetti aus. Die Mexikaner agierten aus einer sicheren Abwehr diszipliniert und umsichtig, derweil Trapattoni wild gestikulierend am Spielfeldrand die ratlose Darbietung seines Teams begleitete, die auch für ihn leicht zur Abschiedsvorstellung kroatischen Ausmaßes hätte werden können.