Beobachten, fördern, analysieren

Der EU-Ministerrat verabschiedet eine Gleichbehandlungsrichtlinie zur Förderung des jeweils benachteiligten Geschlechts. Sie muss bis Juni 2005 in nationales Recht umgesetzt werden und soll künftig die Position der Diskriminierten stärken

von HEIDE OESTREICH

Europas Frauen sind mal wieder um einen der berühmten Trippelschritte vorangekommen. Gestern verabschiedete der EU-Ministerrat die neue Richtlinie 76/207/EWG, bis zum 15. Juni 2005 muss sie in nationales Recht umgesetzt werden. Sie verpflichtet die Mitgliedsländer der EU, das jeweils benachteiligte Geschlecht aktiv zu fördern und seine Diskriminierung zu bestrafen. Kommt einem zum Beispiel aus dem Grundgesetz irgendwie bekannt vor, wird aber in dieser Richtlinie konkreter formuliert.

So müssen die Staaten „eine oder mehrere Stellen“ einrichten, die die Gleichbehandlung „fördern, analysieren, beobachten und unterstützen“ soll. Die Stelle soll Opfern von Diskriminierungen bei ihrer Beschwerde helfen und auch selbst Untersuchungen durchführen und Berichte zum Stand der Diskriminierung der Geschlechter vorlegen. Zudem verpflichten sich die Staaten, dass Verbände und Organisationen einzelne Personen bei Klagen unterstützen dürfen.

Dieses so genannte Verbandsklagerecht ist ein Hebel, auf den die Frauenszene setzt: Welche Frau traute sich schon, etwa gegen ihren Arbeitgeber zu klagen, wenn sie zu wenig Lohn bekam? Vorstellbar wäre auch, dass jemand mit Unterstützung einer Organisation gegen ganze Tarifverträge klagt, weil sie Frauen „mittelbar“ diskriminieren. Mittelbare Diskriminierung, auch das ist in der Richtlinie festgelegt, ist dann gegeben, wenn scheinbar neutrale Regelungen dennoch ein Geschlecht benachteiligen. So wird typische Frauenarbeit in Tarifverträgen oft geringer bewertet als typische Männerarbeit – und zwar ohne nachvollziehbare Begründung.

Auch soll sexuelle Belästigung in Zukunft als Diskriminierung im Sinne des BGB geahndet werden und nicht mehr, wie bisher in Deutschland, als Sache des Arbeitsschutzes. Das bedeutet, so erläutert die Frauenrechtsexpertin Barbara Degen, dass das Opfer sexueller Belästigung eine erleichterte Beweislast hat: Eine eidesstattliche Erklärung, dass Belästigung stattgefunden hat, reicht nun zusammen mit „weiteren Hinweisen“ aus. Da diese Art der Belästigung meist unter vier Augen stattfindet, ist sie oft kaum nachweisbar, wenn der oder die TäterIn den Vorwurf leugnet. Gleichzeitig besteht natürlich akute Missbrauchsgefahr: Wenig Vorwürfe sind für Rufmord besser geeignet als der der sexuellen Belästigung.

Zudem schlägt die Richtlinie einiges an Maßnahmen vor, die die Tarifparteien in der Wirtschaft umsetzen können. Sie sollen Antidiskriminierungsvereinbarungen schließen, die Arbeitgeber sollen in den Betrieben über die Gleichbehandlung informieren, Statistiken erheben und „Maßnahmen zur Verbesserung der Situation“ ergreifen. Zudem forderte ein Aktionsbündnis von über 1.000 Frauen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Kirchen und Attac die Bundesregierung auf, die EU-Richtlinie direkt in ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft umzusetzen.

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