: Frisch wie ranziger Parmesan
Der Heribert Faßbender der Literatur: Martin Walser hat wieder versucht zu schreiben
Walser-Protegé Frank Schirrmacher hat in „Tod eines Kritikers“ nicht nur „antisemitische Klischees“ entdeckt, sondern auch herausgefunden, dass das Buch „ein Dokument des Hasses“ sei, ja sogar „nichts anderes als eine Mordfantasie“. Das lässt aufhorchen, denn genau so etwas will man schließlich lesen. Aber kaum hat man unfallfrei den ersten Satz überstanden, beginnt man doch sehr an Schirrmachers Verheißung zu zweifeln, denn wenn der erste Satz zu überhaupt etwas taugt, dann als Lehrbeispiel für vergurkte Romananfänge: „Da man von mir, was zu schreiben ich mich jetzt veranlaßt fühle, nicht erwartet, muß ich wohl mitteilen, warum ich mich einmische in ein Geschehen, das auch ohne meine Einmischung schon öffentlich genug geworden zu sein scheint.“
Das erhöht die Spannung aufs Kommende natürlich ungemein. Der Marcel Reich-Ranicki nachempfundene Literaturkritiker André Ehrl-König verschwindet, und weil sein mit Blut befleckter Pullover zurückbleibt, glaubt man an einen Mord. Diese Indizienlage hört sich ganz nach einem angestaubten „Derrick“ aus den Siebzigerjahren an. Der Schriftsteller Hans Lach, dessen neues Buch vom Ehrl-König verrissen wurde, wird festgenommen. Sein Nachbar Michael Landolf, Ich-Person und ebenfalls Autor, ist zwar nicht gerade dicke mit Lach, beschließt aber sofort, in die Fußstapfen von Horst Tappert zu treten und die Unschuld Hans Lachs zu ermitteln. Dazu treibt ihn eine paradoxe Erkenntnis: „Und obwohl ich über seine Freundschaften nicht viel weiß, beherrschte mich, als ich das las, sofort eine einzige Empfindung: er hat außer dir keinen Freund.“ Ein paar Zeilen später: „Meine Empfindung war unmißverständlich.“ Aber dann doch wieder Zweifel: „Sind Hans Lach und ich wirklich befreundet?“ Man weiß es nicht, und da der Autor offensichtlich nicht damit herausrücken will, möchte man es irgendwann auch gar nicht mehr so genau wissen.
Schließlich ist man ganz und gar damit beschäftigt, sich durch Walsers knarrende Schachtelsätze hindurchzuquetschen. „Was tun, nach meiner Erfahrung, nur die, die es gut meinen mit mir, oder, sagen wir, die Herzlichen“, stolpert man durch ein von Kommata schwer zersiebtes Manuskript. Kein Satz, der nicht mit irgendeinem Füllsel verstopft, der nicht mit einem überflüssigen Einwurf oder einem wichtigtuerischen Pluralis Majestatis zugekleistert ist. Die todsichere Methode, einem jeglichen Spaß beim Lesen zu verderben. Walsers Stil macht stattdessen den Eindruck, als ob er frisch aus der Parmesanreibe kommt: „Obwohl ich nirgends dazugehöre, kriege ich, weil ich, wenn ich erschöpft bin, Zeitungen durchblättere, doch mit, wer gerade mit wem und wer gegen wen ist.“ Das muss man erst mal schaffen: „Obwohl ich, kriege ich, weil ich, wenn ich.“ Ist das die hohe Bodensee-Schule der Rhetorik? „Mir ist sonst immer alles zu schnell peinlich. Und jetzt gar nicht“, schreibt Walser, und man glaubt ihm aufs Wort.
So rückt er sich selbst ein wenig in die Nähe von Heribert Faßbender, der ja auch ganz gern besinnungslos vor sich hin schwallt und dabei Sätze von grandioser Dämlichkeit und absurder Brillanz produziert. In einer Sentenz über das Schweigen, mit dem es beide ja eher nicht so haben, wird dies besonders deutlich: „Dann sagte er nichts mehr. Wenn der Beamte noch etwas gesagt hätte, hätte er sicher auch noch etwas gesagt. Er sah mich zwar an, aber nicht so, daß ich hätte fragen können: Wie geht es Ihnen.“ Und weiter: „Er war es vielleicht gewohnt, daß man, wenn er nichts sagte, auch nichts sagte. Wenn ich, obwohl er so deutlich nichts sagen wollte, doch angefangen hätte, etwas zu sagen“, dann, ja dann, dann hätte er womöglich auch was gesagt? Oder doch nichts? Bei diesen dauernden Ankündigungen kann einem schon mal der Hut hochgehen, oder, O-Ton Walser: „Ilse-Frauke, ich seh’s, du meinst, es reiche.“ Aber natürlich reicht es Walser noch lange nicht. Ein letzter Dialog: „Ja, sagte sie, also. Sie sagte: Wann kommst du? Ich sagte sozusagen wahrheitsgemäß: Woher soll ich das wissen? Dann sagte ich: Ich leg jetzt auf. Sie sagte: Ja. Ich legte auf.“
Auf diese Weise holpert die Handlung voran, und zwar fast ausschließlich im Konjunktiv und mit eigenartigem Partizipgebrauch: „Die ganze Stadt rauscht nur so vor nicht schnell genug abfließen könnendem Schneewasser.“ Kein Wunder, dass Hans Lach schließlich gesteht. Aber kaum hat er gestanden, bereut Walser es schon wieder, weshalb er Hans Lach das Geständnis widerrufen lässt. „Vielleicht war es auch nur so hingesagt gewesen. Wie das Geständnis vielleicht auch.“ Wie eben vieles in diesem Roman so in den blauen Dunst hineingeschrieben worden ist. Nur selten wird Walser klar und eindeutig. Es handelt sich um Aussagen in eigener Sache: „Wer berühmt ist, kann jeden Dreck publizieren!“ Und vielleicht deshalb und weniger wegen der antisemitisch konnotierten Stellen, hat Walser den Ärger von Schirrmacher auf sich gezogen. KLAUS BITTERMANN
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