Neue Regierung in Prag

Nach den Parlamentswahlen in Tschechien bleiben die Sozialdemokraten stärkste Kraft. Ein Koalition mit den Liberalen zeichnet sich ab. Die Kommunisten legen deutlich zu

„Unser Ziel ist ein moderner Sozialstaat und der Beitritt in die Europäische Union“

PRAG taz ■ Ein deutliches Nein zum antieuropäischen Populismus eines Václav Klaus und ein bedeutender Ruck nach links: Tschechien hat gewählt. Die Sozialdemokraten (ČSSD) gehen mit 30,2 Prozent Stimmenanteil und 70 Mandaten als Sieger aus diesen Wahlen und nahmen bereits gestern Verhandlungen über eine Regierungsbildung mit der liberalen „Koalition“ (K) auf, die 14,3 Prozent erhielt. Die Sozialdemokraten hatten seit 1998 eine Minerheitsregierung geführt. Doch die eigentlichen Gewinner dieser Wahlen sind die Kommunisten und die Politikverdrossenheit. Lange Gesichter gibt es auch bei der Bürgerpartei (ODS) des früheren Premiers Václav Klaus, die mit 24,5 Prozent und 58 Mandaten auf die Oppositionsbänke verbannt wurde.

Nur 58 Prozent der tschechischen Wahlberechtigten sind am vergangenen Freitag und Samstag in die Wahllokale gekommen. Analytikern zufolge ist dies ein Zeichen dafür, dass viele Bürger die Wahlen als überflüssig betrachteten und sich davon keinerlei Änderung versprachen. Für diese These spricht auch die Tatsache, dass keine neue Partei, wie zum Beispiel die Grünen, den Sprung über die auch in Tschechien bestehende Fünfprozenthürde geschafft haben. Geschafft haben dafür die Kommunisten (KSČM) den Sprung in die politische Akzeptanz. Mit einem Stimmanteil von 18,5 Prozent und 41 Mandaten sind sie zur drittstärksten Kraft im Abgeordnetenhaus und damit auch hoffähig geworden. Noch am Wahlsamstag sagte Vladimír Špidla, der ČSSD-Vorsitzende und designierte sozialdemokratische Premierminister, Präsident Václav Havel sollte künftig auch die Kommunisten zu seinen regelmäßigen Konsultationen einladen, da sie ein bedeutendes Mandat erhalten hätten. Havel hatte als Schriftsteller und Bürgerrechtler zu den erbittertsten Gegnern der 1989 entmachteten Kommunisten gehört. Er kann den Spitzenkandidaten der stärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragen.

„Unser Ziel ist ein moderner Sozialstaat und der Beitritt in die europäische Union“, erklärte Špidla. Der Erfolg der Kommunisten sei in erster Linie auf die liberal-konservative Konzeption zurückzuführen, die bis Mitte der 90er-Jahre das Land in eine Krise geführt und Armutsgebiete geschaffen habe, meinte Špidla. Wichtiger als der Erfolg der Genossen vom linken Rand war für die Sozialdemokraten, wenigstens an diesem Samstag, der Misserfolg der Bürgerpartei ODS. Diese hatte den Wahlkampf mit einer Kampagne für nationale Interessen begonnen und mit einer Personalisierung auf Václav Klaus beendet. Beides stieß beim Wähler auf wenig Zustimmung. Einerseits wurde die Diskussion über nationale Interessen von vielen als künstlich herbeigeführtes Polittheater empfunden, das von den wahren Problemen des Landes ablenken sollte. Andererseits ist der Stern des Václav Klaus inzwischen zu stark gesunken, als dass er noch ein Stimmenfänger sein könnte.

Nach der ersten Freude über die Abfuhr von Klaus und seiner ODS ist aber inzwischen auch bei den Sozialdemokraten die harte politische Realität wieder eingekehrt. Die Wunschkoalition mit den Liberalen, die eine Mitte-links-Regierung für Tschechien bedeuten würde, erweist sich bei näherem Hinsehen als äußerst schiffbruchgefährdet. Eine solche Koalition hätte im 200-köpfigen Abgeordnetenhaus mit 101 Mandaten nur eine Mehrheit von einer Stimme. Und selbst die bleibt fragwürdig, weil innerhalb der liberalen „Koalition“ auch zwei unabhängige Kandidaten in die hohe Politik eingezogen sind, deren Loyalität zu der Partei schon jetzt in Frage gestellt wird. Eine ČSSD-K-Koalition wäre also auf jeden Fall auf die stille Unterstützung der Kommunisten angewiesen.

ULRIKE BRAUN

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