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Investoren nicht vergrämen

Das Investitionspotenzial für den Offshore-Markt schätzen Fachleute auf über 50 Milliarden Euro. Doch die noch ungeklärten Umweltauswirkungen bei der Offshore-Windkraft irritiert die Anleger

Auf dem Land wird der Platz für Windkraftanlagen langsam knapp – die besten windreichen Standorte sind meist vergeben. Aber auf hoher See soll der Boom der Windkraft weitergehen. Fast 30 Anträge für Offshore-Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee liegen dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg mittlerweile vor. So plant die Umweltkontor Renewable Energy AG nach Angaben des BSH 69 Anlagen der 3- bis 5-Megawatt-Klasse 40 Kilometer nordwestlich von Rügen: Investitionsvolumen rund 460 Millionen Euro. Die Future Energy AG will 25 bis 45 Kilometer nordöstlich von Rügen sogar etwa 170 Anlagen der 4- bis 5-Megawatt-Klasse errichten; Investitionsvolumen: satte 1,27 Milliarden Euro.

Mit etlichen derartigen Offshore-Windparks dürfte ein Ziel der Bundesregierung in greifbare Nähe rücken: bis zum Jahr 2010 den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung in Deutschland auf 12,5 Prozent zu erhöhen.

Das Investitionspotenzial für den gesamten künftigen Offshore-Markt schätzen Fachleute auf über 50 Milliarden Euro. Anleger können sich an Windkraftprojekten beteiligen. Entweder sie kaufen Aktien von Windparkprojektierern, die Offshore-Projekte planen, wie zum Beispiel Umweltkontor und Energiekontor. Für andere Offshore-Projekte sollen Kommanditanteile angeboten werden. Noch im letzten Jahr führte die Hoffnung, Offshore-Windkraft würde zur Boombranche, zu Kurskapriolen der Windaktien: So war die Umweltkontor-Aktie bis Ende 2001 auf 36 Euro gestiegen, Energiekontor AG notierte bei 30 Euro.

Doch jetzt haben die Windaktien Flaute. Das Wertpapier der Umweltkontor AG beispielsweise stürzte um rund 85 Prozent auf 4,05 Euro, die Energiekontor-Aktie fiel auf 5,95 Euro (beide: Stand 12. 6. 2002, Börse Frankfurt). Grund für den freien Fall: Die Zukunft der Offshore-Windkraft ist unsicher. Vor allem eine Diskussion über die Umweltauswirkungen der Offshore-Windkraft irritiert die Anleger.

Beispiel: Der Offshore-Windpark „Borkum-West“-Planer, die Prokon Nord Energiesysteme GmbH, wird als Erster Ende 2003 mit einer Pilotphase starten. Umweltschützer kritisieren die von der Bezirksregierung Weser-Ems genehmigte Trassenführung der Stromkabel durch den Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“.

Der Biologe Klaus Lucke vom Forschungs- und Technologiezentrum der Universität Kiel kann sich allerdings nicht vorstellen, dass die „Verkabelung“ die Natur gefährdet. Er rät, die Kabelwege zu pflügen, statt zu spülen. Denn die am Boden lebenden Meerestiere und -pflanzen werden weiträumiger gestört, wenn die Kabelwege ausgespült werden. Lebenswichtiges Sediment werde dann aufgewirbelt und verteilt, so Lucke. „Aber ohne den Seesternen auf ihre Strahlen treten zu wollen: Ich schätze die Auswirkungen eher gering ein“, sagt der Biologe.

Ungeklärt ist bislang der Einfluss von Schall und Schwingungen auf die Meerestiere. Schall verbreitet sich unter Wasser schneller als in der Luft, und Meeressäuger, etwa Seehunde und Wale, orientieren sich über ihr Gehör. Umweltschützer befürchten, dass Lärm in der Bauphase der Windkraftanlagen insbesondere sie gefährden wird. Fische, die gut hören können, werden ebenfalls durch Lärm belastet. Kabeljau und Hering zählen zu dieser Gruppe. Das Gehör regeneriert sich bei Säugern nach einer Schädigung nicht, das Hörvermögen von Fischen kann sich hingegen erholen.

Die „Gründung“ der Windkraftanlagen, also das Errichten der Fundamente, werde über viele Kilometer starken Lärm und damit ungewohnte Vibrationen und Schallwellen erzeugen, fürchtet Lucke. Rammvorrichtungen sollten und können seiner Auffassung nach unter Lärmschutzaspekten technisch weiterentwickelt werden.

Anders sieht das Alexander Klemt, Projektmanager für den Windpark „Borkum-West“. Gegenwärtig werde geschätzt, dass die Schwingungen in einem Abstand von etwa einem Kilometer nicht mehr wahrnehmbar seien. Außerdem sei dieser Teil der Nordsee eines der meistbefahrenen Meeresgebiete der Welt – die Tiere seien an einen hohen Hintergrundpegel gewöhnt, meint der Wissenschaftler.

Während der Bauphase könnte auch gezielt mit so genannten Vergrämern gearbeitet werden – Geräten, die mittels unangenehmer Töne Tiere verscheuchen. Der gegenteilige Effekt sei aber auch nicht auszuschließen, so Lucke: Die Tiere werden neugierig und von den ungewohnten Geräuschen angelockt. Dabei liege die Schmerzschwelle über der Schädigungsschwelle – wie bei einem Diskobesuch –, und das Gehör der Säuger werde dauerhaft geschädigt.

Erste Untersuchungen zu Schall und Schwingungen beginnen in diesen Wochen. Dabei werden zunächst Säuger in Gefangenschaft getestet. „Vergrämer“ sind zurzeit in der dänischen Nordsee eingesetzt. Untersuchungsergebnisse über ihre Wirkung liegen noch nicht vor.

Zwar fördert und finanziert das Bundesumweltministerium aus Mitteln des „ZIP“ (Zukunftsinvestitionsprogramm) 2001 bis 2003 die ökologische Begleitforschung zur Windkraft in Nord- und Ostsee mit 3 Millionen Euro. Und der Planer der Offshore-Anlage Borkum-West gibt nach eigenen Angaben 2,5 Millionen Euro für die ökologische Begleitforschung aus und noch einmal so viel für die technische Optimierung und sonstige Gutachten. Bei Gesamtkosten von rund 140 Millionen Euro sind das 1,8 Prozent für die ökologische Begleitforschung – ob das reicht, um ökologische orientierte Anleger zu beruhigen?

Der Kritik der Naturschützer leisten die offenen Probleme weiter Vorschub: Mit dem Bau wird begonnen, bevor die Umweltauswirkungen gründlicher erforscht sind. DAGMAR HESSE/ECOREPORTER.DE

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