Graue Maus mit Träumen und Potenzial

Vladimír Špidla, künftiger Regierungschef Tschechiens, könnte Bewegung in die erstarrte Politikszene bringen

Auf den ersten Blick wirkt er schon etwas grau und langweilig, der 51-Jährige, der der nächste Premierminister Tschechiens werden wird. Aber vielleicht erblasst er auch nur im Vergleich zu Miloš Zeman, seinem Vorgänger und Ziehvater, der ab nun als politischer Frührentner im böhmisch-mährischen Hochland Bäume umarmen will.

Denn dem Grauen-Maus-Image zum Trotz ist mit Vladimír Špidla ein erfrischend neuer Wind in die erstarrte tschechische Politszene gekommen: Im Gegensatz zu Bonmot-King Zeman und dem immer besserwisserischer auftretenden Václav Klaus versteht Špidla es, konkrete Antworten zu geben und seine Vision der Zukunft Tschechiens klar darzustellen.

Vladimír Špidla hat einen großen Traum: Den „Weg nach Norden“ hat er ihn genannt, in Anlehnung an das von ihm verehrte Schweden. Ein großzügiger Sozialstaat skandinavischen Typs soll die Tschechische Republik werden, so Špidla. Schließlich glaubt er noch an das Gute im Menschen und an die Solidarität in der Gesellschaft. Ein unerschütterlicher Optimist, der angesichts der kalten Gründerkapitalismus-Atmosphäre, die im Post-Klaus- und Post-Zeman-Tschechien herrscht, tatsächlich noch die Menschlichkeit sieht.

Schon vor den Wahlen hat Špidla angedeutet, dass er nicht nur leere Versprechen mache, sondern auch tatsächlich dazu fähig sein werde, Geld für die Realisierung seines Traumes auszugeben: Wirtschaftlicher Wohlstand erhöhe die Gebärfähigkeit, glaubt Špidla. Deshalb will er, wenn es Staatshaushalt und Koalitionspartner erlauben, jede neue Geburt mit 50.000 Kronen (1.700 Euro) belohnen. Schon vor den Wahlen hatt er Steuersenkungen kategorisch ausgeschlossen. Dass ihm das trotzdem nicht geschadet hat, liegt eben genau daran, dass der tschechische Wähler nach vier Jahren Tolerierungsabkommen sich nicht länger für dumm verkaufen lassen will.

Wenigstens ist Špidla ehrlich. Im Gegensatz zu seinem angegrauten Image steht seine bunte Karriere. Der promovierte Historiker arbeitete in den 70er- und 80er-Jahren als Denkmal- und Umweltschützer, dann als Arbeiter in einem Milchwerk und einer Baufirma. Nach der Revolution wurde er, der sich politisch zurückgehalten hatte, im Bürgerforum aktiv. Kurz darauf trat Špidla in die wiedergegründete Sozialdemokratische Partei ein.

Sein Technokratenimage verdankt Špidla auch seiner langjährigen Funktion als Arbeitsamtleiter im südböhmischen Nest Jindřichův Hradec. Nach den Wahlen 1998 berief Zeman ihn als stellvertretenden Premier, später als Minister für Arbeit und Soziales in sein selbst ernanntes „Selbstmörderkabinett“, das schließlich doch noch die Legislaturperiode überlebte.

Er sei ein „Leninist alter Schule“, schimpfte Václav Klaus noch im Vorjahr, als Vladimír Špidla Miloš Zeman an der ČSSD-Parteispitze ablöste. Gut, Špidla betrachtet das Wort Sozialismus zwar nicht als Schimpfwort, aber bezeichnet sich selbst lieber als Sozialdemokrat. Als Premier sieht sich Špidla, der bislang bescheiden in einer 2-Zimmer-Plattenbauwohnung lebte, vor allem als erster Diener des Staates. Dementsprechend unbewegt blieb auch seine Miene nach Bekanntgabe seines Wahlsiegs. Er fühle Verantwortung, nicht Freude, erklärte Špidla und versuchte dabei nicht einmal zu lächeln.

ULRIKE BRAUN