Der Fluch des weißen Goldes

Zu lange hat Kuba mit der Umstrukturierung der kriselnden Zuckerindustrie gewartet. Jetzt hilft nur noch die Rosskur

HAVANNA taz ■ Lange hat sich die kubanische Regierung gesperrt, strukturelle Reformen in der Zuckerindustrie durchzuführen. Nun kann sie es sich nicht mehr leisten und schließt gleich 71 von 156 Zuckermühlen.

Angetreten war General Ulises Rosales del Toro, um das Flaggschiff der kubanischen Wirtschaft auf Vordermann zu bringen. Nun, knapp vier Jahre nach seiner Amtsübernahme als Zuckerminister, streckt er offiziell die Waffen. Es muss gespart werden. Und angesichts stagnierender Produktionsquoten und niedrigem Weltmarktpreis verliert Kubas ehemals wichtigstes Exportprodukt rapide an Bedeutung. Deshalb hat der Minister nun die Gesundschrumpfung des Sektors verordnet. Und mit den museumsreifen Zuckermühlen, die zum Teil noch aus den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts stammen, wird begonnen. „An eine rentable Produktion ist dort schon lange nicht mehr zu denken“, erklärt Pedro Monreal, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Havanna, der sich schon zu Beginn der 90er-Jahre für die Stilllegung ausgesprochen hatte.

Doch an den Mühlen hängen nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch Investitionen, die für die betreffenden Gemeinden lebensnotwendig sind. 25 Prozent der Produktionskosten im Zuckersektor entfallen auf Ausgaben für den Straßenbau oder für Kindergärten. In fast allen Gemeinden ist Zucker der wichtigste Wirtschaftsfaktor und die einzige Geld- und Materialquelle. Konsequenz laut Monreal: „Die notwendige Strukturanpassung wird von unten blockiert.“

Doch auch die Regierung schob die Reform lange Zeit vor sich her. Denn alternative Arbeitsplätze in den ländlichen Regionen zu schaffen, ist nicht einfach. Deshalb nahm das Zuckerministerium die unrentablen Zuckermühlen aus der Produktion, betraute die Belegschaft mit Reparaturaufgaben – und schuf damit letztlich schon Fakten.

An vielen Standorten ist die offizielle Entscheidung deshalb auch nicht sonderlich überraschend gekommen, sagt Dario Piñeiro. Der 44-Jährige hat 14 Jahre lang in der Pablo-Noriega-Mühle, etwa 45 Kilometer südlich von Havanna gelegen, gearbeitet, für deren Erhalt die Belegschaft zum Schluss mit allen Mitteln kämpfte. Genutzt hat es nichts, denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. „Bei der letzten Ernte produzierten sieben der moderneren Mühlen 1,8 Millionen Tonnen Zucker und damit etwa die Hälfte der Gesamtmenge“, sagt Monreal.

Die Prognose für die gerade ausklingende Ernte liegt auf ähnlichem Niveau. 3,6 Millionen Tonnen Zucker werden erwartet, etwa die Hälfte von dem, was in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre erwirtschaftet wurde. Für derartige Mengen fehlt aber der Absatzmarkt, der Weltmarktpreis für Zucker dümpelt seit Jahren auf niedrigem Niveau.

Hoffnung auf Besserung verspricht selbst die Internationalen Zuckerorganisation (ISO) nicht. Alternative Süßstoffe und Rübenzucker haben dem Rohrzucker lange den Rang abgelaufen. Die ISO rät den Kubanern deshalb seit Jahren zur Entwicklung alternativer Produkte aus dem Zuckerrohr. In diesem Bereich haben die Kubaner zumindest in der Forschung die Nase vorn. 45 Produkte wurde am Institut für Erforschung der Abkömmlinge des Zuckerrohrs (ICIDCA) entwickelt: Wachse, Enzyme, Hefen, aber auch biologische Waschmittel, Viehfutter oder Spanplatten werden hergestellt, doch bei der industriellen Produktion hapert es noch. Dem Institut ist im Ausland lange mehr Interesse entgegengebracht worden als im Inland. „Dieses mangelnde Weitsicht kommt uns jetzt teuer zu stehen“, sagt ICIDCA-Ökonom Agustin Cabello. Für einen schrittweisen Übergang fehle nun die Zeit.

KNUT HENKEL