WIRTSCHAFTSINSTITUTE EMPFEHLEN HARTE EINSCHNITTE IM OSTEN
: Rezepte für die Prärie

So deprimierend wie erwartet war der Rapport nicht. In ihrem gestern an die Bundesregierung übergebenen Sondergutachten „Fortschritte beim Aufbau Ost“ kommen die fünf führenden Wirtschaftsinstitute gestern zu dem Schluss: Abgesehen von der nach wie vor maroden Baubranche geht es aufwärts oder wird zumindest nicht schlechter. Vor allem die Industrie in den neuen Ländern sei „dynamisch und robust“, wenn auch noch zu klein. Mit Ratschlägen an die Politik sparen die Forscher dennoch nicht: Die Euromilliarden aus dem Westen sollen künftig weniger in Subventionen und Steuerminderungen für hauptsächlich westdeutsche Investoren fließen. Vielmehr soll der Staat sein Geld vor allem in die Infrastruktur stecken, also Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Forschung.

Das klingt ein bisschen nach Entwicklungsempfehlungen für ein Dritte-Welt-Land, aber das ist nun auch schon egal. Hauptsache, die Rezeptur hilft. Bitter genug schmeckt sie eh schon. Denn um eine gute Infrastruktur im Osten auszunutzen und dann in Arbeitsplätze umzumünzen, haben die Wirtschaftsforscher ein paar herbe Ingredienzen im Sinn: dauerhaft niedrigere Löhne als im Westen, Regeln wie Tarifverträge oder Handwerksordnung samt Meisterzwang abschwächen oder gar abschaffen.

Das ist starker Tobak, auch für den Westen. Denn niedrigere Löhne werden auf die alten Länder ausstrahlen, und auch andere Sozialstandards werden gegenwärtig im Zweifel eher nach unten angeglichen. Aber was sonst tun? Inzwischen wandern unterm Strich 400.000 Menschen pro Jahr aus den neuen Ländern ab, vor allem die jungen, vor allem die qualifizierten. Wenn das noch zehn Jahre so weitergeht, dann haben wir östlich der Elbe vielleicht blühende Prärien zum Erholen für ein paar versprengte Berliner Wochenendausflügler, aber gewiss keine Landschaften mit Fabriken, Kultur und ausgewogenem Sozialgefüge. Wer wollte das verantworten? Wohl niemand. Jetzt muss die Politik nur noch einen Weg finden, es den Leuten begreiflich zu machen. REINER METZGER