Wirtschaftsgutachten: Ost ist nicht gleich Ost

Ostdeutschland entwickelt sich je nach Region und Industriezweig stark unterschiedlich. Manche Arbeiter sollten mehr verdienen, manche weniger

BERLIN taz ■ Fünf deutsche Wirtschaftsinstitute sehen die ökonomische Lage in den neuen Bundesländern als „unbefriedigend, aber nicht hoffnungslos“. Grundlage dieser Einschätzung ist ein 54-seitiger gemeinsamer Bericht, den die Institute am Freitag in Berlin vorstellten. Laut Bericht ist die Entwicklung in den einzelnen Wirtschaftssektoren weiterhin stark unterschiedlich. Mit der Bauindustrie gehe es weiter bergab, das Tempo der Talfahrt habe sich aber stark verlangsamt. Das verarbeitende Gewerbe wachse dagegen robust durch den Ausbau des Exportanteils.

Ähnlich unterschiedlich hätten sich auch die Regionen Ostdeutschlands entwickelt. Während sich Südthüringen vergleichsweise positiv entwickelte, seien die östlichen Landesteile Sachsens und die vorpommersche Küstenregion zurückgeblieben. Kritisch sei auch die Entwicklung in Mitteldeutschland und der Lausitz, die durch die stark kapitalintensiven Wirtschaftszweige Braunkohlebergbau und chemische Grundstoffindustrie geprägt sind, sagte Joachim Ragnitz, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt beim Institut für Wirtschaftsforschung Halle.

Neben dem IWH waren das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, das Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel (IfW) und das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am Bericht beteiligt.

Die Experten geben auch Handlungsempfehlungen, wie die wirtschaftlichen Probleme Ostdeutschlands langfristig gelöst werden könnten. Grundtenor: die Standortdefizite nicht mit Subventionen zu überdecken, sondern mit gezielter Angebotspolitik die Bedingungen für Unternehmen zu verbessern. Dazu zähle in erster Linie die Investion in die Infrastruktur und zentral in die Verkehrswege. Dazu mahnten die Wissenschaftler die Bundesländer, die Gelder aus dem Solidarpakt II wieder mehr an die Gemeinden für Investitionen weiterzugeben. Seit 1996 hätten die ostdeutschen Gemeinden jedes Jahr weniger finanzielle Zuweisungen der Länder erhalten.

Zweiter dringender Punkt sei die Qualifizierung der Beschäftigten und besonders der nachwachsenden Generation, da wegen der geringen Geburtenrate sonst Fachkräftemangel in ganz Ostdeutschland drohe.

Als dritten zentralen Punkt forderten die Experten eine größere Lohndifferenzierung im Osten. Arbeitsplätze mit niedrigeren Qualifikationsanforderungen könnten nur bei zurückhaltenden Lohnsteigerungen gesichert werden. Die bald dringend benötigten hoch qualifizierten Fachkräfte müssten im Osten dagegen mit höheren Löhnen geworben werden. Die Lohndifferenzierung ist bislang deutlich geringer als in Westdeutschland. Die bloße Angleichung des Lohnniveaus an den Westen dürfe auch im öffentlichen Dienst nicht die Leitlinie sein. Denn dies sei ein falsches Vorbild für die freie Wirtschaft. Die Langfassung des Berichts ist unter http://www.iwh-halle.de abrufbar.

MARTIN WÜNDERLICH

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