Der Sound der Neuen Mitte

Basis-Überbau. Jede Gesellschaft hat ihren Soundtrack, zumeist auch den, den sie verdient. In Zeiten, in denen die Kulturindustrie mittlerweile vollends in die bedingungslose Reklame für die Welt, wie sie ist, überführt wurden, entspricht das Politische jeder Musik ihrem Erfolg beim Publikum. Da sind sowohl politisch korrekte wie auch reaktionäre Lippenbekenntnisse nur die Abweichungen vom Normalfall, der seit einiger Zeit als „Neue Mitte“ firmiert.

Wenn „Antipop“-Theoretiker und Testcard-Herausgeber Martin Büsser mit seinem Buch Wie klingt die Neue Mitte? eben diese Frage aufwirft, dann auch mit der sich zunehmend aufdrängenden Gewissheit, dass eben Rechtes und Reaktionäres in der Popmusik erst einmal genauso klingt wie Popmusik überhaupt. Deshalb reicht es nicht, das Netz „rechter Musik“ einfach abzubilden; es reicht auch nicht, Popmusik über den eindeutigen Text zu indizieren, Nazirock zum Reizwort zu machen und die Existenz rechter Tendenzen in der Popmusik zum Skandalon zu erklären.

Ob Rammstein nun Nazis sind oder nicht, oder ob die Fans sich an den möglichen Nazismen dieser Band orientieren, ist zweitrangig gegenüber dem Reaktionären, was Band und Publikum je schon als vermeintlich unpolitische Show verkörpern. Das Reaktionäre ist gegenwärtig die Signatur einer politischen Ära, Ausdruck der Normalität der Neuen Mitte. Dazu gehört nicht nur der offene und totschlagende Rassismus, sondern vor allem der zynische Konformismus.

Büssers titelgebende Frage ist allein popdiskursiv nicht zu beantworten, sondern gesellschaftstheoretisch; im Übrigen ebenso die Frage, wie eine nicht-reaktionäre Popmusik klingen könnte. Diese Frage fungiert bei Büsser gleichsam als verkürzte Antwort im Buch; allerdings ist das Buch auf Diskussionen angelegt und als Einladung für eine kontroverse Debatte zu empfehlen. Roger Behrens

Lesung, 20 Uhr, Lichtmeß; Martin Büsser, Wie klingt die Neue Mitte? Rechte und reaktionäre Tendenzen in der Popmusik, Ventil Verlag, Mainz 2002, 142 S., 11,90 Euro