Kanzleramt unter Wasser

Ein Lehrer aus Italien macht hochgelobte Fotos, Ausstellungen in Mailand, Zürich und Berlin, und bekam zwei Jahre keine Rente – eine Geschichte aus Europa. Und aus Diepholz

Die Berliner Goldelse schwebt vor dem Sony-Center am Potsdamer Platz„Ich bin kein Ankläger und kein Missionar“, sagt Waser, „ich bin eben so.“

Palermo und Diepholz haben zumindest eines gemeinsam: Der sizilianische Sarazenenpalast und ein niedersächsisches Abbruchhaus überlagern einander auf einem Bild. Den Aufbruch sollen sie symbolisieren – für Italien das Ende der Omertà, des Tabus, über die Mafia zu sprechen. Für Diepholz noch viel mehr. Denn Diepholz ist die Heimat von Rüdiger Waser, des Mannes, der dieses Foto gemacht hat, diese und andere, die Kritiker aufs Höchste loben.

„Ich möchte einen Bezug zu dieser Stadt haben“, sagt der 59-Jährige, und was aus dem Mund von jemandem, der nie rausgekommen ist, wohl selbstverständlich klingt, hört sich bei Rüdiger Waser fast rührend an. Rührend bemüht um die Wurzeln, die er lange verlassen hat und zu denen er immer wieder zurückkehrt. Rührend bemüht um ein Städtchen zwischen Weizenfeldern und Hühnerställen, mit Geranien in der kleinen Fußgängerzone und mit einer Gedenktafel an einem Laden, wo einst eine Synagoge stand. Hier stoppt Rüdiger Waser und sagt: „Das hängt aber auch erst seit Ostern.“ Immerhin, ergänzt er. Und erzählt die Geschichte vom Straßenpflaster, einst hergestellt aus Grabsteinen vom jüdischen Friedhof. Wie ihm der Friseur gesagt habe: „Das ist doch hier ein offenes Geheimnis.“ Davon, dass die Stadt Überlebende des Holocaust eingeladen habe, und dass „Diepholz die Sache gut gemacht hat.“

Rüdiger Waser ist weit rumgekommen. In einem Flüchtlingstreck aus dem Osten erreichte er als Kind Niedersachsen, studierte in Berlin Soziologie und arbeitet seit den 80er-Jahren in Mailand als Lehrer. Als Fotograf bestritt er zahlreiche Ausstellungen. 1993 bekam er den Carlo-Perini-Fotopreis der Stadt Mailand verliehen.

Die Geschichte treibt ihn um, der Nationalsozialismus vor allem. Die zwei oder drei Bücher, die inzwischen über das Örtchen an der Lohne in der Nazi-Zeit erschienen sind, trägt er bei sich. In seinen Bildern drückt er aus, was er empfindet. Per Doppelbelichtung. Mit einem scheinbar simplen Trick gelingt es ihm, seinen Bildern eine „bestechende Ausstrahlung“, gar „mysteriöse Kräfte“ – O-Ton Roberto Muti von „La Repubblica“ – zu verleihen. Er macht ein Foto. Von einer Burg in Liechtenstein beispielsweise. Wartet eine Weile, sucht nach anderen Motiven. Transportiert den Film nicht weiter. Bis er den reißenden Gebirgsbach findet, den er der Burg überblendet. Entstanden ist eine von Wellen überflutete Festung, die Ruhe und Bewegung zugleich vermittelt. Durch die letzten, schon wieder sonnenbeschienenen Regenwolken am Comer See schimmert die Klaviertastatur seiner Frau – ein Bild von Wärme, von Hoffnung. Wasserüberspült ist auch das Berliner Kanzleramt, „das passt doch“, sagt Waser trocken. Über das Fenster in dem Diepholzer Abbruchhaus ist die Silhouette eines Baumes gelegt – Einblick und Ausblick zugleich auf die Menschen, die in diesem Haus jahrelang gewohnt haben. Kirch- und Schlosstürme packt er aufeinander, um die Kampf zwischen weltlicher und kirchlicher Macht zu zeigen. Die Berliner Goldelse auf der Siegessäule schwebt vor dem Sony-Center am Potsdamer Platz: das alte und das neue Berlin. Was das alles soll?

„Ich bin kein Ankläger und kein Missionar“, sagt Waser und zieht an einer Zigarette, einer von vielen, „ich bin eben so.“ Groß sind seine Bilder und bunt. Bei vielen von ihnen wird einem leicht ums Herz, ist die Wärme italienischer Sonne, die Lässigkeit italienischen Alltags zu spüren. Dabei ist es im Moment nicht weit her mit mediterraner Lässigkeit bei Rüdiger Waser. Der Mann, der 20 Jahre in Deutschland und fast ebenso lange in Italien gearbeitet hat und vor zwei Jahren in Rente gegangen ist, hat bis vor wenigen Tagen von Sozialhilfe, Freunden und Verwandten gelebt: Obwohl er stets Rentenbeiträge eingezahlt hatte, fühlten sich weder deutsche noch italienische Behörden zuständig, ihm Rente zu zahlen. Niemand bestritt ihm den Anspruch – es fehlten schlicht die Ausführungsbestimmungen für die Verwaltungsmenschen, wie denn mit einer berenteten Existenz im freizügigen Europa zu verfahren sei. Nur Schulterzucken auch aus dem Bundeskanzleramt, dem Rüdiger Waser irgendwann einen entnervten Brief geschrieben hat. Inzwischen hat er seinerseits Post bekommen. Seine Rente soll gezahlt werden, in den kommenden Tagen. Dann wird Rüdiger Waser wieder in Italien sein. Es falle ihm leichter, mit Italienern zusammen zu sein als mit Deutschen. „Da muss nicht alles gleich, sofort, subito passieren.“ Er erzählt von Don Camillo und Peppone, von deren Kunst, mit Kompromissen zu leben, die ihm so sympathisch ist. Von dem Anarchischen, das in Italien immer noch vorhanden sei. Und von seinem Gang zur Bank, der jetzt ansteht. Um zu gucken, ob die Rente wirklich da ist. Sein Lächeln wird ein bisschen starr. „Da bin ich wirklich gespannt.“

susanne gieffers

Eine Auswahl von Rüdiger Wasers Bildern ist noch bis zum 30. Jini im Diepholzer Tuchmacher-Haus, Lohnstraße 2, jeweils samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr zu sehen.