Polizeistrategie im Visier der Staatsanwaltschaft

Version der Polizei über den Einsatz gegen G-8-Gegner in Genua entpuppt sich als Fake. Ermittlungen wegen Fälschung von Beweismitteln

ROM taz ■ Eine Wende nahmen in den letzten Tagen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Genua zum Sturm der Polizei auf die Scuola Diaz während des G-8-Gipfels im vergangenen Juli. Die Staatsanwaltschaft geht nun davon aus, dass die Kette der Ereignisse, wie sie die Polizei präsentierte, ein kolossaler Fake ist.

93 Verhaftete, davon 60 zum Teil schwer Verletzte, war die Bilanz des Sturms der Einsatzkräfte auf die Schlafstätte der G-8-Gegner. Dennoch hatte die Polizeiführung ein gutes Gewissen. Schließlich sei wenige Stunden vor dem Einsatz eine Streife aus der Schule mit Steinen bombardiert, ein Beamter Opfer einer Messerattacke und nach der Gewaltorgie Molotow-Cocktails und weiteres gefährliches Gerät sichergestellt worden.

Diese Version trägt – nachdem gegen 100 Beamte wegen Körperverletzung ermittelt wird – jetzt 25 Polizeioffizieren einen Ermittlungsbescheid wegen Fälschung von Beweismitteln und übler Nachrede ein. Der Beamte, der das Protokoll über die Steinwürfe unterzeichnete, kann sich nicht erinnern, beschädigte Wagen wurden nie präsentiert, nie hat die Polizei aufgeklärt, dass die den Einsatz rechtfertigenden Steinwürfe am Abend erfolgt sein sollen, während die Einsatzleitung den Sturm am Nachmittag beschlossen hatte.

Gut erinnern kann sich dagegen ein anderer Polizist: Er hatte am Nachmittag des 21. Juli am Rande der Auseinandersetzungen auf offener Straße zwei Mollis sichergestellt; jene Flaschen sollen nur Stunden später in der Scuola Diaz „im Eingangsbereich für jeden sichtbar“ (so das Protokoll) auf ihre Beschlagnahme gewartet haben. Auch den Messerstich auf einen Beamten hat es nie gegeben. Ein kriminaltechnisches Gutachten ergab, dass das Messer und der Riss in der Jacke nicht zusammenpassen.

So triumphierend damals die Polizei ihre „Beweise“ präsentierte, so schludrig ging sie mit ihnen um: Keiner hielt es für notwendig, die Molotow-Cocktails auf Fingerabdrücke zu untersuchen. Mit gutem Grund dagegen wurden die Benzinflaschen im „Eingangsbereich“ platziert – so sollten alle 93 Schulbewohner zu Mitgliedern einer kriminellen Vereinigung gestempelt und das Genua Social Forum als Schirmherr des Black Block entlarvt werden.

Die Staatsanwaltschaft Genua geht davon aus, dass diese Einsatzstrategie zentral von der nationalen Polizeiführung geplant wurde. Hauptbeschuldigter ist deshalb der damalige Vizechef von Italiens Polizei ,Arnaldo La Barbera. Voran kommen auch die Ermittlungen zum Sturm auf das der Scuola Diaz gegenüberliegende zweite Schulgebäude, in dem das Genua Social Forum und das Media Center der G-8-Gegner ihren Sitz hatten. Zusammengeschlagen wurde dort niemand. Hinterher hieß es, die Beamten seien in dieses Gebäude irrtümlich eingedrungen. Ein zielgerichteter Irrtum: Systematisch wurden die Computer zertrümmert und die Festplatten mitgenommen. Beschlagnahmeprotokolle: Fehlanzeige. Deshalb werden die verantwortlichen Beamten von der Staatsanwaltschaft der Sachbeschädigung und des Diebstahls beschuldigt. MICHAEL BRAUN