nebensachen aus kabul
: Über die Besonderheiten billiger Flüge nach Afghanistan

Miles & More mit Ariana

Wer in ein deutsches Reisebüro geht und sagt: „Bitte ein Ticket nach Kabul!“, erntet Kopfschütteln. Die Destination Kabul ist im Buchungscomputer nicht zu finden. Trotzdem fliegt ein- bis zweimal die Woche das einzige Flugzeug der staatlichen afghanischen Fluglinie Ariana von Dubai nach Kabul. Die alte Boeing 727 ist eine Alternative zum viermal teureren UN-Flug ab dem pakistanischen Islamabad, der wegen des Vorrangs von Diplomaten nicht verbindlich gebucht werden kann, oder dem gefährlichen Landweg auf völlig zerstörter Straße.

Doch um den Ariana-Flug zu buchen, muss man in Deutschland einen Afghanen suchen, der den Agenten der Fluglinie in Dubai kennt und einem dann zusagen kann, dass man mitfliegen darf. Denn weil Ariana keine Computer und kaum Telefone hat, arbeitet die Airline wie Kabuls Geldhändler nach dem so genannten Harwala-System.

Nach diesem auf telefonischer Zusage und absolutem Vertrauen basierenden System werden täglich zehntausende Dollar ins Land ohne funktionsfähige Banken transferiert. Ein Agent in Deutschland infomiert den (meist mit ihm verwandten) Geldhändler in Kabuls Schasada-Geldbasar, sobald in Deutschland das Geld eingezahlt wurde. In Kabul wird dann umgehend dem gewünschten Empfänger die Summe abzüglich einer Gebühr ausgezahlt. Dieses Überweisungssystem geriet nach dem 11. September in Verruf. Denn mangels Quittungen hinterlässt es keine Spuren und wird deshalb auch gern von Terroristen, Drogenhändlern und Steuerhinterziehern genutzt.

Wer seinen Kabul-Flug mindestens eine Woche im Voraus bucht, bekommt mit etwas Glück sogar eine schriftliche Bestätigung des Agenten gefaxt. Gegen die wird dann in Dubai am Sonntagmorgen ab 6 Uhr für die angeblich gegen 8.30 Uhr startende Maschine das Ticket ausgestellt. Wer kurzfristig bucht, dem bleibt – Inschallah – nur Gottvertrauen.

Zur frühen Stunde belagern dutzende Fluggäste in spe den Ariana-Schalter. Ein völlig gestresster Angestellter füllt 160 Tickets per Hand aus, kassiert jeweils 190 Dollar in bar und verstaut die Scheine in seiner überbordenden Hemdtasche. Leider will der Agent von seiner mündlichen Zusage nichts wissen und vertröstet einen auf einen angeblichen Flug am nächsten Tag. Da hilft nur eines: den afghanischen Mittelsmann in Deutschland, wo es kurz nach 4 Uhr morgens ist, aus dem Bett zu klingeln und ihn mit dem Agenten zu verbinden. Die beiden wechseln zwei Sätze, der Agent lacht und plötzlich ist alles kein Problem mehr.

Die 160 Bordkarten haben keine Sitzplatznummern. Wer zuerst einsteigt, kann sich den Platz aussuchen. Die Sitzgurte tragen noch das Symbol einer längst bankrotten US-Fluggesellschaft, wie auch das Flugticket auf der Rückseite die im vergangenen Jahr von den Taliban zerstörten Buddhastatuen zeigt.

Kurz vor der Landung steigt die Nervosität der Passagiere. Doch nicht etwa, weil der Pilot die voll besetzte Maschine zwischen den Bergen in einer waghalsigen Kurve nach Kabul herunterschraubt und vor der Landung noch einmal beschleunigen muss. Vielmehr betreten die meisten Passagiere nach Jahren des Exils erstmals wieder heimatlichen Boden. Neben der Rollbahn grüßen zerschossene Flugzeuge und Arianas gerade gebraucht gekaufte zweite Maschine. Der Agent in Dubai wird künftig doppelt so viel zu tun haben. SVEN HANSEN