Die lustlosen Reformer

Europas Staats- und Regierungschefs wollen ihre Treffen effektiver machen. Gut so. Aber dafür haben sie zu wenig geändert

aus Sevilla SABINE HERRE

Valéry Giscard d’Estaing ist ein Genie, wenn es darum geht, nichts zu sagen. Als der Präsident des EU-Konvents am Ende seiner Pressekonferenz in Sevilla gefragt wurde, wie sich EU-Gipfel seit seiner Amtszeit vor gut zwei Jahrzehnten verändert hätten, meinte er: „Nun ja, es sind mehr Regierungschefs geworden.“

Tatsächlich hat sich das höchste Gremium der EU, der viermal im Jahr stattfindende „Europäische Rat“ der Staat- und Regierungschefs, grundlegend geändert. Was einst, initiiert von Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem damaligen französischen Staatspräsidenten „VGE“, als Kamingespräch mit Grundsatzdebatten über die weitere Entwicklung der EU begann, hat sich zu einem Diplomatenrummelplatz entwickelt, auf dem hunderte von Delegierte zwei Tage und Nächte lang nichts anderes tun, als an den Formulierungen der so genannten Schlussfolgerungen zu feilen.

Seit der von Giscard d’Estaing geleitetet Konvent jedoch über eine Reform der Gremien der Union nachdenkt, stehen auch die Regierungschefs unter Druck. Sie beauftragten sie den Generalsekretär des Rats, Javier Solana, Vorschläge auszuarbeiten, wie ihre Treffen effektiver gestaltet werden könnten. Wichtigster Punkt dabei war die Teilung des so genannten Allgemeinen Rats der Außenminister in zwei selbstständige Räte. Der eine sollte sich allein mit den außenpolitischen Angelegenheiten der EU beschäftigen. Der neue „Allgemeine Rat“ wäre dann für die „Innenpolitik“ der EU zuständig gewesen.

Doch selbst dieser eher bescheidene Vorschlag Solanas ist in Sevilla gescheitert – am Widerstand der kleinen Mitgliedsstaaten wie etwa Österreich. Im Unterschied zu vielen der großen Staaten haben sie keinen eigenen Europaminister. So wäre es bei der Frage, wen sie in den neuen Allgemeinen Rat schicken, wohl zu heftigen internen Auseinandersetzungen gekommen. Den kleinen Nachbarn dankbar sein kann auch Außenminister Joschka Fischer. Zwar hieß es aus der deutschen Delegation immer wieder, dass die Frage eines Europaministers erst nach der Wahlen gelöst werde, doch ist sich die Mehrheit von EU-Experten einig, dass ein solcher Minister seinen Sitz eigentlich nur im Kanzleramt haben könne.

Vorerst wird nun ein Rat eingerichtet, der den Namen „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ trägt und – so die „Schlussfolgerungen“ – „in Bezug auf seine beiden Haupttätigkeitsbereiche“ zu gesonderten Tagungen, also zu „unterschiedlichen Terminen“ und „getrennten Tagesordnungen“ zusammenkommt. Die einzige entscheidende Reform von Sevilla ist die Reduzierung der Zahl der Fachministerräte 16 auf 9. Besonders betroffen – und von Schröder bedauert – ist davon Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Fragen der Entwicklungshilfe werden künftig vom Rat „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ behandelt.

Allzu wichtig nahmen die Regierungschefs ihre Reform jedoch nicht. Besprochen wurde sie während des Mittagessens am Freitag, als das WM-Spiel Deutschland – USA für Ablenkung sorgte. Und auf die Frage, welche Bedeutung für Schröder und Co die viel beschworene Transparenz von EU-Entscheidungen hat, findet man eine klare Antwort in den „Schlussfolgerungen“: „Die Öffentlichkeit der Diskussion wird dadurch sichergestellt, dass der Öffentlichkeit ein Raum zur Verfügung gestellt wird, in dem die Beratungen des Rates direkt übertragen und die Abstimmungsergebnisse in geeigneter Weise visuell angezeigt werden.“

Das gezielte Spiel mit Gipfelinformationen wird also weitergehen. Da die Journalisten nicht wissen, was die Regierungschefs hinter verschlossenen Türen beraten, werden sie weiterhin ihre Zeit mit der Exegese der Schlussfolgerungen vertun. Und dabei auch weiterhin übers Ziel hinausschießen. So führte in Sevilla der unscheinbare Satz, dass der „Europäische Rat auf seiner Tagung im Herbst dieses Jahres“ die Entscheidung über die Osterweiterung treffen wird, zu Spekulationen. „Warum“, so ein österreichischer und ein polnischer Journalist unisono, „warum wird nicht das genaue Datum des Gipfels genannt? Bisher war das letzte Oktoberwochenende geplant. Da stimmt doch etwas nicht!“

In den Schlussfolgerungen heißt es jedoch auch, dass die Beitrittsländer in den „ersten Novembertagen“ erfahren werden, wie sich die EU-Staaten die künftige Unterstützung der Bauern dieser Länder vorstellen. Für die Verhandlungen über diese so genannten Direktzahlungen ist dann bis zum Erweiterungsgipfel im Dezember in Kopenhagen wirklich kaum mehr Zeit. So kann man nach der gescheiterten Ratsreform von Sevilla schon jetzt davon ausgehen, dass die EU-Bürger auch dann einen Gipfel erleben, bei dem wichtige Beschlüsse in letzter Minute und unter Ausschluss der Öffentlichkeit fallen.