Leben in der Bar

Fast vier Wochen Premiere-Zeit: Fußball-WM um 8.30 Uhr. Champions-Frühstück in der Bodega-Bar mit 20 JapanerInnen, vier Milchkaffee und einer Großbildleinwand

von PETER AHRENS

Bodega-Bar, Weidenallee. Ein Schild vor der Tür: Hier Übertragung aller WM-Spiele. Die Rettung.

4. Juni, 8.30 Uhr: Meine Premiere-Fußball-WM beginnt, Japan-Belgien. 50 Plätze, 20 JapanerInnen. Erste große WM-Überraschung: Wer glaubt, der Japaner als solcher verliert sein Gesicht, wenn er Emotionen zeigt, ist alten James-Clavell-Romanen aufgesessen. Der Fußball guckende Japaner beherrscht das Wort „Scheiße“ perfekt und in mehreren Tonlagen. 2:2. Alle sind zufrieden. Ein Milchkaffee, ein Bitter Lemon.

5. Juni, 8.30 Uhr: Russland-Tunesien. Tote Hose in der Bar, auf der Leinwand auch. 11 Uhr USA-Portugal. Fünf PortugiesInnen hinten in der Ecke sind den Tränen nah. Alle vorm Anpfiff gesammelten Tipps werden schon zur Pause weggeworfen. Mario, der Wirt drückt ein: „Jetzt kommen die Amis auch noch im Fußball, das kann doch nicht wahr sein“. Die Linken aus dem Schanzenviertel basteln an ersten Verschwörungstheorien: „Ich sehe schon im Endspiel Bush neben Berlusconi auf der Ehrentribüne.“ Man muss ja nicht gleich das Schlimmste denken. Das Schaufenster ist schwarz-rot-gold beflaggt: Deutschland spielt mittags gegen Irland, aber das gucken wir lieber mal daheim im Öffentlich-Rechtlichen.

6. Juni, 8.30 Uhr: Erste Konditionsprobleme, die Anfangsviertelstunde Dänemark-Senegal verschlafen. Kamerun schlägt Saudi-Arabien um 11 Uhr, drei Kaffee, ein Champions Frühstück für 5 Euro 90 mit viel Rührei. Keine Besonderheiten.

7. Juni, 8.30 Uhr: Schweden-Nigeria. Kein Festtag für die vier Afrikaner im Raum. Tony hat ein England-Trikot an, kommt gegen 10 Uhr rein, er genehmigt sich ein fettes Frühstück, trinkt zwei große Bier, stößt auf und sagt: „So, jetzt kanns losgehen.“ Die Jungs in den Argentinien-Trikots sitzen in der anderen Ecke der Kneipe und halten Tony den Mopo-Tagestipp hin: Argentinien-England 2:1. „Fucking Mopo“, erkennt Tony und behält recht. Zwei Milchkaffee.

8. Juni, 8.30 Uhr: Südafrika-Slowenien verpennt.

9. Juni, 8.30 Uhr: Sonntag morgen Mexiko-Ecuador. Das ist hart. Aber Fußball-WM ist nur alle vier Jahre. Vier Kaffee.

10. Juni, 8.30 Uhr: Südkorea-USA. Wieder eine Kneipe voll mit gesundem Anti-Amerikanismus. Südkorea macht kurz vor Schluss den Ausgleich. Alle fühlen sich wohl.

11. Juni, 8.30 Uhr: Die Bodega-Bar ist rappelvoll. Vorne auf der Großbildleinwand Konferenz-Schaltung. Hinten auf dem kleinen Bildschirm läuft das Frankreich-Spiel. Der Weltmeister fliegt raus. Senegal bleibt drin. Mario trägt ein Deutschland-Trikot mit seinem Namen. Zum Kamerun-Spiel nach Hause.

12. Juni, 8.30 Uhr: Jetzt auch noch Argentinien. Die Stimmung schwankt zwischen Hohn und Verzweiflung. Blau-Weiße Trikots zahlen ihren Kaffee und gehen nach Hause. Der Rest guckt Slowenien-Paraguay.

13. Juni, 8.30 Uhr: Konferenz zwischen Türkei-Spiel und Brasilien-Spiel. Junge Türken rundherum, die genau wissen: „Brasilien hat das Spiel doch gekauft. Die haben denen doch Kokain rübergeschoben. Rivaldo ist schwul. Alle sind gegen uns.“ Die Türkei kommt dank Brasilien weiter.

14. Juni, 8.30 Uhr: Ringe unter den Augen. Die Russen müssen nach Hause, aber das interessiert ind er Kneipe keinen.

15. Juni, nachmittags: Die Vorrunde ist zu Ende, da kann man mal was neues ausprobieren. Hamburger Botschaft, Sternstraße England-Dänemark. Mitten im Schanzenviertel rufen Leute: „Wir wollen den Rudi sehen.“ Die Linken nuckeln an ihrem Bier und führen Taktik-Diskussionen. Irgendwann fällt der Ton aus. Im Raum steht eine Sandkiste, die Kunst sein soll und zur Artgenda gehört. Hmm. Nächstes Mal doch wieder Bodega-Bar.

16. Juni, 8.30 Uhr: Wieder Sonntag, wieder kein Ausschlafen. Wieder Champions Frühstück. Senegal macht das Golden Goal.

17. Juni, 8.30 Uhr: Die Amis gewinnen wieder. Allgemeines Kopfschütteln.

18. Juni, 8.30 Uhr: Japan-Türkei. Die jungen Türken sind wieder da. Diesmal reicht es auch zum Sieg, ohne dass halb Japan schwul ist. Die Japaner verziehen keine Miene.

21. Juni, 8.30 Uhr: Letzter Premiere-Tag, da kann man noch mal was ausprobieren. Meisenfrei am Eppendorfer Weg. Die Kneipe ist voll mit braun gebrannten Männern um die 40 mit Pferdeschwanz, die sich mit Digger anreden und Ringe im Ohr haben. Und dann verliert auch noch England. Bodega-Bar wäre definitiv die bessere Wahl gewesen. Aber so bleibt mir wenigstens erspart, Tony trösten zu müssen.