Knall-Krebse und Mini-Palmen

Nach 25 Jahren wird das Übersee-Museum wieder neu konzipiert. Den Anfang macht die Ozeanien-Schau, dann wird sukzessive das ganze Haus modernisiert: Computer und Exponate zum Anfassen sollen mehr ZuschauerInnen in die alten Hallen locken

Extra-Exponate zum Kaputt-Probieren, damit die Originale heil bleiben, aber die Besucher sie begreifen könnenDie Geschichte und die Wahrheit: Keine Riesenschlange, nur eine riesen lange Schlange mit Schildkröten

Welten gucken. Das geht im Übersee-Museum prächtig. Aber das ist in der Regel auch schon alles: Anfassen, probieren, belauschen und bestaunen kann man die fremden Kulturen aus den fernen Kontinenten bislang nicht. Kein Wunder: Das museumspädagogische Konzept (Tafeln und Vitrinen studieren) ist nämlich gut und gerne 25 Jahre alt.

Aber jetzt. Jetzt steht zum ersten Mal im Übersee-Museum wieder eine Neukonzeption der Ausstellungswelten an. Und das ist nach 25 Jahren Nullveränderung fast so viel wie eine mittelschwere Revolution. In Zukunft soll also eine Mischung aus „Universum“ und Unterhaltung in die altehrwürdigen Hallen einziehen. Ozeanien zum Anfassen, bitte schön.

Noch ist das alles nicht viel mehr als ein Modell, kunterbunt und gerade mal halb so groß wie der Tisch. In Realita aber ziemlich genau eine Million Euro schwer und schon jetzt die große Hoffnung des Hauses, die im nächsten Jahr Wirklichkeit werden soll.

Wiebke Ahrndt jedenfalls, die neue Leiterin des Übersee-Museums und seit fast hundert Tagen im Amt, ist heftig entzückt. Immer wieder kreist ihr Finger um Mini-Palmen und neon-grüne Modell-Inseln. Die Südsee-Ausstellung („Ozeanien“) wird im November 2003 den Anfang der Revolution machen, die dann sukzessive durch das komplette Haus wandert. Und die langfristig mehr Volk ins Haus bringen soll. Ahrndt: „Wir wollen damit die 200.000-Marke durchbrechen.“ Also: 30 Prozent mehr ZuschauerInnen im Jahr als heutzutage erreichen.

Anders wird es überall. Nicht nur im Haus, sondern auch auf dem Bahnhofsvorplatz. „Heerscharen ziehen von dort in die Innenstadt. Viel zu wenige davon biegen ab ins Übersee-Museum“, moniert Ahrndt. Jetzt sollen schon am Bahnhof Landkarten, Fernrohre oder Inseln zur Entdeckungsreise ins Museum animieren und für deutlich mehr Laufkundschaft sorgen.

Der nächste Schritt: Das Foyer. Ein Teppich mit Meerestiefen-Linien ist das erste, was von Ozeanien zu sehen sein wird. Linien, die reinlocken sollen in den Innenhof, über den sich die Meereskarte erstreckt, hin zu Inselgruppen (begehbar) und den bekannten Hütten, Booten, Statuen.

Dass Ozeanien im ersten Innenhof bleiben wird und Asien im zweiten, war dabei nicht unumstritten. Heftig wurde darüber diskutiert, gibt Ahrndt zu. Am Ende blieb es bei der alten Ordnung. Einfach weil Ozeanien die schönsten und größten Kunstwerke für die 17 Meter hohe Halle hat. Und: „Weil wir dann mit der entferntesten Kultur anfangen“. Eine, die im Idealfall viel Fernweh, noch mehr Abenteuerlust und herzhafte Träume stimuliert.

Helfen soll dabei die Technik. Computer und Video wird es geben für die next generation. Außerdem spezielle Konzepte für Senioren (Sitzplätze, Großschrift). Und große Hörecken, mit Geschichten, Musik und Original-Tonaufnahmen aus Ozeanien.

Zwar wird das Haus weiter in Kontinente eingeteilt bleiben. Aber innerhalb des geografischen Rahmens werden die drei Hauptsparten Natur, Kultur und Wirtschaft jeweils zusammen gedacht. „Das ist unser Privileg“, sagt Ahrndt: „Wir können mehr zeigen als nur Naturkunde, mehr zeigen als nur Völkerkunde.“ Zum ersten Mal sitzen die VertreterInnen der Einzelabteilungen prinzipiell an einem Tisch, Ethnologen neben Naturwissenschaftlern und Didaktikern, und basteln gemeinsam an der Übersee-Arbeit.

Herausgekommen sind vor allem Geschichten, die erklären und unterhalten. Seemannsgarn wird da zum Beispiel aufgespannt: Die Mythen von Riesenschlangen und die Wahrheit: In Ketten schwimmende Schildkröten. Aufgeräumt wird auch mit der Legende von der Stille unter Wasser. Fische machen sehr wohl Lärm, weiß Ahrndt. Einen Heidenlärm sogar, wenn man die Knall-Krebse krachen hört. Auch um die Wahrheiten von Landkarten wird es gehen. Die im Mittelalter noch gesüdet waren, bei den Indianern immer nach Osten gerichtet wurden und auf denen wir heute noch Europa vergrößert ins Zentrum rücken.

Vor allem aber wird die fremde Welt nicht mehr nur hinter Glas zu sehen sein. „Extra Exponate“ will Ahrndt einkaufen gehen. Zum Anfassen, Greifen und letztlich zum Begreifen. Das Ganze darf gerne auch kaputt-probiert werden, solange es einen Eindruck von den Originalen (hinter Glas) vermittelt. Denn die echten sind tabu. „Da stehen wir in der Verantwortung, sie so zu erhalten, wie sie sind.“

Bis die Revolution im dritten Stock des Übersee-Museums angekommen ist, werden 15 Jahre vergangen sein. Dann, meint Ahrndt, wird man wieder von vorne anfangen. Unten. Mit dem dann neusten Schrei der Museumspädagogik.

Dorothee Krumpipe