berliner szenen Beim Oasis-Konzert

Angst mit Liam Gallagher

Das Bier macht alles sehr weich. Die leeren Plastikbecher stapeln sich vor uns auf dem dreckigen Columbiahallenboden. Ich bin schon gut dabei. „Oasis, Oasis“, schreien ein paar Jungs mit England-Fahne. Dauert noch. Auf der Bühne ist die Vorgruppe, deren Sänger wie ein Wikinger aussieht. In der Toilette großes Gedränge, laut und prollig. Ich stoße gegen eine der weißen Türen und stehe vor einem Jungen, der aussieht wie Liam Gallagher. Er sitzt auf der Kloschüssel, blaues Trikot, Nummer 72 und „L. Gallagher“ auf dem Rücken. Das Gesicht auf ein Knie gedrückt. Er weint. Ich schließe die Türe.

„Liam, what’s wrong?“ Er schaut hoch, zeigt auf mein T-Shirt, „a-ha, Bruce Lee“, und lächelt. Liam sieht heute viel besser aus als sonst, als wäre er gerade erst 19 geworden. Das Gesicht ist glatt rasiert, es sieht fast rosig aus. Seine Augen strahlen rein, kein Schatten drunter. Vielleicht kommt das vom Weinen. „I have so much angst“, sagt Liam. „Is it because of Noel?“ – „Fuck sake, Noel who? I don’t know a guy called Noel.“ Ich nehme einen Schluck Bier und halte Liam den Rest hin. Er trinkt aus. „There’s a guy outside, wants to kill me.“ – „Oh my god.“ – „Don’t laugh, Bruce Lee, it’s serious.“ Jetzt bemerke ich das nervöse Zucken in seinem Gesicht. „Are u high?“ Liam lacht hysterisch, fährt sich mit der Hand über die Augen. Aus seiner Hosentasche zieht er ein ovales Döschen, vier grüne Pillen liegen darin. „You want some? Heroin-pills, it’s the best stuff ever have.“ Wir schauen uns in die Augen, sein Mundwinkel zuckt. Ich nehme eine Pille, stecke sie in meine Tasche und lasse Liam in seiner Kabine zurück. Als ich in die Halle komme, steht Liam in einer zitroneneisfarbenen adidas-Trainingsjacke und mit brauner Sonnenbrille auf der Bühne. Er singt „Hello“. HENNING KOBER