Never Mind the Bullets

Katrin Lock zeigt mit „Big Egos“ in der Galerie K&S, wie Werbestrecken der Waffenindustrie und Streetimages des HipHop visuell zusammengehen

Eminem hat eine, Lil’ Kim auch, und für Dr. Dre ist sie der sicherste Schutz in „Cal-i-for-ni-A“: die Baretta 9mm ist sehr beliebt als Handfeuerwaffe des HipHop. Dicht gefolgt zwar von Uzi Minis, aber weit vor der 38er Smith & Wesson, die hauptsächlich von US-amerikanischen Polizisten getragen wird.

Dagegen schafft die Baretta popkulturelle Distinktion, und sie sieht gut aus als Accessoire der hoch codierten Gangsta-Rap-Symbolik. Ob Dr. Dre, Busta Rhymes, Xzibit oder Ja Rules – über diese Waffe lässt sich hervorragend reimen: „As long as I got a baretta, nigga, I’m down for whateva.“

Die Textzeile stammt aus „Big Egos“ von Dr. Dre. In der Galerie K&S läuft derzeit ein Video zum Track, das die Berliner Künstlerin Kathrin Lock geschnitten hat. Statt aber MTV-übliche Coolness zu bebildern, mit der hier Knarren, Geld und Macht abgefeiert werden – „down to blast for cash“, wie Dre das nennt –, ufert Locks Montage noch weiter aus. Wie im Schnelldurchlauf der Cultural Studies sieht man Clint Eastwood beim Duell, Schwarzeneggers Terminator, Macho-Inszenierungen aus einem R.-Kelly-Clip und dann Dokumentaraufnahmen von Kindern, die mit MGs Straßen kontrollieren, und später noch eine Militärparade – schmucke europäische Soldaten, in vollem Wichs.

Die Sprünge, die Lock in ihrer materialreichen Recherche vollzieht, sind nicht immer einfach zu entschlüsseln. So kann man nur ahnen, wie der reale Kampf auf der Straße und die Medieninszenierungen der Musikindustrie zusammenhängen – ästhetisch eigentlich gar nicht. Es gibt ein ungeheueres Angebot illegaler Waffen, die seit dem Zusammenbruch des Ostblocks auf dem Markt sind; und es gibt die Bemühungen von HipHop-Stars, ihre Fantasien mit Gewalt und Streetness visuell umzusetzen.

All das hat Lock zwar sorgfältig gesammelt. Aber die Beziehungen, die sich dadurch erschließen könnten, bleiben auf der Videoebene unklar. Zu sehr treibt der Beat von Dr. Dre die Bilder nur rhythmisch an, zu selten wird der Bruch zwischen realen und fiktiven Gewaltwelten selbst zum Thema des Videos. Es rockt, es flutscht, nicht anders als im Original. Erst in dem Beitrag, den Lock für das aktuelle Magazin des Künstlerhauses Bethanien geschrieben hat, wird aus dem Studium der Phänomene eine Analyse über konkrete Gewalt und die Verführungskraft der Symbole. Dort spannt Lock den Bogen von der positiven Besetzung, die Waffen im HipHop oder Raggamuffin erfahren, zu ihrem Pendant in den Werbezeitschriften für Kriegstechnologie.

Eine solche Kartografie findet sich auch im Vorderraum der Galerie K&S, als computercollagiertes Poster, das Images von adidas-Models im Trooperlook, Rap-Texte und Lara-Croft-Blondinen mit realen Kampfhandlungen überlagert. Dabei sticht ein Slogan besonders hervor, der gut zu den Werbestrecken in „Military Technology“-Heften passen würde: „Never mind the bullets“. Wie viel Ernst in dem slicken Statement steckt, erfährt man auf der Homepage von Lock. Unter www.go-gangbustah.com sind zahllose reale Opfer von Attentaten aufgeführt. Wer mag, kann diese Liste aktualisieren. Vollständig wird sie allerdings nie: Mit Handfeuerwaffen werden jährlich 500.000 Menschen getötet. Da ist die Realität, die Lock dokumentiert, plötzlich um einiges größer als Dr. Dres Big Ego.

HARALD FRICKE

Bis 6. Juli, Mi–Fr 15–19 Uhr, Sa 12–17 Uhr, Galerie K&S, Linienstraße 156/157