Mehr als Sichtbarkeit

Zu den Queerrr Street Days: Ein Gespräch mit Winston Xin über die begleitende Filmreihe im B-Movie, sein Verhältnis zu Kultur und Politik sowie die Situation von Queers in Kanada

Interview: DORO WIESE

Im Rahmen der Querrr Street Days, die vom 27. bis zum 30.6. in Hamburg stattfinden, werden alternative Videoprogramme gezeigt. Einer der Kuratierenden ist Winston Xin, kanadischer Aktivist aus Vancouver, der sich insbesondere mit den Kreuzungslinien von Kunst und Politik auseinandersetzt. Die taz hamburg nutzte die Gelegenheit seines Deutschlandaufenthaltes, um mit ihm über seine Filmzusammenstellung, aber auch über Queers in Kanada und dortige Diskussionen zu reden.

taz hamburg: Beim Überfliegen des Programms „Culture Clash: Queer-Kurzfilme aus Kanada“ hat man den Eindruck, in Kanada würden ähnliche Diskussionen wie in einigen deutschen Großstädten geführt. Bei steigender Akzeptanz von Homosexualität erachten es manche fürnotwendig, das Augenmerk auf andere Thematiken als die lesbischwulen Sichtbarkeit zu legen, beispielsweise auf Ausgrenzungsmechanismen innerhalb der Lesben- und Schwulen-Bewegung. So erscheint etwa der traditionelle CSD zunehmend zu einem kommerziellen Ereignis zu werden. Gibt es in Kanada eine ähnliche Kritik?

Winston Xin: Die Diskussionen ähneln sich, da es einige Queers gibt, die mit dem traditionellen CSD unzufrieden sind, insbesondere mit seinen Konsumaspekten. Ich habe in Berlin den CSD gesehen, und er war genauso angelegt wie die CSD-Veranstaltungen in den USA oder in Kanada. Für mich ist das Ganze eine großangelegte Werbeveranstaltung auch für Clubs und nicht nur für queere Gruppen. In Kanada und in den USA kommt erschwerend hinzu, dass auch Banken und Firmen dort für sich werben und sich mit ihren Bannern zeigen. Auf diese Weise wollen sie das lesbischwule Kapital für sich gewinnen.

Stop Staring and Listen, einer der Filme im Programm, formuliert eine interne Kritik von Queers an Queers. Worum geht es dabei?

Catherine McCollum, von Frau zu Mann transgeschlechtlich, zeigt lesbischwule Orte und Clubs in Vancouver, an denen er Transphobie oder Rassismus erlebte. Er nimmt die lesbischwule Community unter die Lupe und kritisiert die Ausgrenzung, die Queers untereinander ausüben.

Sind Rassismus oder Transphobie in Kanada viel diskutierte Themen?

Meiner Erfahrung nach ist „transgender politics“ das nächste große Thema, das auf uns zukommt. Ich glaube, die zunehmende Präsenz des Themas beinflusst die Art und Weise, wie die queer Community Sex und Gender wahrnimmt. Und was den Rassismus angeht, muss man mitbedenken, dass sich die kanadische Gesellschaft als multikulturell definiert und für viele Unterschiede einen Platz zu finden glaubt. In einigen Produktionen wird diese vereinfachende Sichtweise kritisiert.

Packin von John Greyson erzählt vom Welthandelsgipfel in Quebec, der 2001 stattfand. Warum hast Du diesen Film ausgesucht?

Packin erzählt über die Anti-Globalisierungsbewegung und ich habe ihn mit ins Programm genommen, weil ich glaube, dass die queeren Communities ebenfalls von den Effekten der Globalisierung betroffen sind. Ich wollte mit dem Film verdeutlichen, dass es andere, größere Zusammenhänge gibt, die uns als Queers betreffen.

Werden auch Themen wie Armut oder Stadtplanung in der Queer Community diskutiert?

Über Stadtplanung wird weniger gesprochen, aber über die Privilegierung und Hierarchisierung durch Geld wird diskutiert. Schaut man sich den CSD an, dann sieht man große Partys und Tanzveranstaltungen, die teuer sind und nicht alle können sich den Zutritt leisten.

Der Film Salvation Army von Scott Treleaven zeigt alternative Sexpraktiken. Welche sind das?

Eigentlich geht es dort weniger um Sex als um eine alternative Form der Gruppenbildung und um Queer Punk. Außerdem zeigt er, wie Leute dich missverstehen können.

Warum wird er als eine Geschichte über Blut, Sex, Speichel und Abfallprodukte angekündigt?

Es wird auch Sex gezeigt, queerer Punksex, aber das ist nicht die Hauptsache.

Du bist in einer Gruppe von Queers asiatischer Herkunft. Worum geht es euch?

Ich bin eine Person, die hier in Kanada als Bindestrich-Mensch bezeichnet wird, da ich ein Chinese-Canadian bin. Und ich bin in einer Gruppe von AktivistInnen, die Rassismus in der Queer Community thematisieren. Wir organisieren Veranstaltungen, um einen Dialog zwischen der asiatischen Community und der nicht-asiatischen Community zu ermöglichen – aber auch, damit wir uns untereinander austauschen, denn wir kommen ebenfalls aus ganz unterschiedlichen Ländern.

„Culture Clash: Queer-Kurzfilme aus Kanada“ (mit Winston Xin und dem Regisseur von Salvation Army, Scott Treleaven): Sa, 29.6., 23 Uhr, B-Movie; Programm der Queerrr Street Days von unter www.rote-flora.de oder www.queerrrstreetdays.de