off-kino Filme aus dem Archiv – Frisch gesichtet

„Ich möcht so gern Karriere machen“, singt Renate Müller zu Beginn von Reinhold Schünzels „Viktor und Viktoria“ (1933). Schließlich ist sie Schauspielerin, nur leider eine arbeitslose. Als sie für einen erkrankten Kollegen in einer Travestienummer einspringt, geschieht dies zunächst aus reinem Selbsterhaltungstrieb. Doch die Nummer kommt an: Der Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau verkörpert, liegen bald wissende und unwissende Verehrer beiderlei Geschlechts zu Füßen. So richtig wohl ist ihr in ihrer Rolle jedoch nicht: „Ich muss Whisky trinken und Hosen tragen und dummen Frauen was Liebes sagen.“ So optiert sie am Ende statt für Karriere doch lieber für das private Glück. Regisseur Schünzel, nach Terminologie des Dritten Reichs ein „Halbjude“ und durch und durch ein Produkt der antiautoritären Weimarer Republik, „bekämpfte“ die Nazis mit den Mitteln der Tonfilmoperette: Seine respektlosen Anspielungen auf die Willkür der Obrigkeit wurden von den Zensoren nur selten verstanden. Als „Viktor und Viktoria“ Ende 1933 die Kinos im faschistischen Deutschland erreichte, besaß die freche Komödie durchaus subversive Züge: aufgrund ihres Spiels mit der permanenten Verwirrung der Geschlechter und weil sie offen Arbeitslosigkeit und schlechte Zeiten thematisierte.

„Viktor und Viktoria“ 2. 7. im Arsenal 1

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Ein Widerstandskämpfer flieht aus einem Nazigefängnis in Lyon. Allerdings verzichtet Regisseur Robert Bresson bei der Schilderung des Geschehens auf Action und Spannung, und bereits der Titel seines Werkes nimmt das Ende vorweg: „Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen“. In dem 1956 entstandenen Film geht es Bresson vielmehr um eine sorgfältige Rekonstruktion des Gefängnisalltags und die minutiöse Vorbereitung der Flucht: Da bohrt und schabt sich der Gefangene mit einem Löffel durch die hölzerne Türfüllung und knüpft Seile aus Teilen von Kleidungsstücken und Decken. Gefilmt hat Bresson vornehmlich in Großaufnahmen: Hände, Werkzeuge, Gesichter. Auch als der Gefangene bei seiner Flucht einen Wachtposten überwältigen muss, verzichtet Bresson auf eine Raumorientierung (und Spannung) schaffende Totale. Die Kamera bleibt beim Ausbrecher, den langsam näher kommenden Posten kann man lediglich hören. Auch die Tötung sieht man nicht, erst das Ergebnis kommt beiläufig wieder ins Bild: effizientes Erzählen von großer formaler Strenge.

Ein gänzlich anderes Milieu zeigt Bresson in dem 1945 im Gegensatz zu seinen späteren Filmen mit professionellen Schauspielern gedrehten „Les Dames du Bois de Boulogne“ (1945): Da öden sich Herren im Frack und Damen im Pelz in ihren großzügigen, elegant gestylten Salons an und promenieren nicht weniger gelangweilt im Bois de Boulogne. Das Paris der Reichen und Schönen wirkt dabei so kalt wie das Herz der Hauptprotagonistin: Als kühl kalkulierender Racheengel verkuppelt Maria Casarès ihren ehemaligen Geliebten mit einer Tänzerin zweifelhaften Rufs.

„Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen“ (OF) 28. 6.; „Die Damen vom Bois de Boulogne“ (OmU) 27. 6. im Arsenal 2

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Ein Film aus der Inflationszeit von 1923, der von nichts anderem handelt als dem Reichtum, der Gier und der Hysterie, die das Gerücht um ein verborgenes Vermögen auslöst. In Georg Wilhelm Pabsts Regiedebüt „Der Schatz“ vermutet Werner Krauss als Geselle eines Glockengießers in dessen Haus einen Hort aus der Zeit der Türkenkriege. Mit seiner „Spinnerei“ steckt er schließlich auch den Meister und dessen Gemahlin an – als der Schatz nach umfassenden Grabungsarbeiten tatsächlich gefunden wird, kommt es zu Mord und Totschlag. Im Gegensatz zu seinen späteren Filmen, die Pabst eher als Vertreter der „neuen Sachlichkeit“ auswiesen, ist „Der Schatz“ von der finster-romantischen Epoche des deutschen Stummfilms geprägt: Die dumpfe Gier der Protagonisten findet ihre Entsprechung in den erdhaften, im Wortsinn niederdrückenden Bauten von Robert Herlth und Walter Röhrig.

„Der Schatz“ 28. 6., 30. 6. im Filmmuseum Potsdam

LARS PENNING