vorlauf
: Liebeshunger im Reihenhaus

„Petite Chérie“,

(20.45 Uhr, Arte)

Es ist Satire in ihrer reinsten Form. Sybille (Corinne Debonnière), eine 30-jährige Jungfrau, die sich aus dem Elternhaus nicht lösen kann, zehrt in ihrer Fantasie von jener Vorstellung des Märchenprinzen, die sich in den gängigen Kitsch- und Schundromanen findet. Doch es gibt ihn eines Tages, den ersten tiefen Blick in die Augen. Ganz real, im Bummelzug.

Wenig später zieht in die Reihenhausidylle der biederen Kleinfamilie ein dreister, herrschsüchtiger Beaux und Hochstapler ein, und ein fatales Beziehungskarussell beginnt sich zu drehen. Victor (Jonathan Zaccai) führt sich als jemand ein, der immer gewinnt. Er verlangt Geld von den Eltern, falls sie ihre Tochter mit ihm verheiraten wollen.

„Petite Chérie“ ist die Geschichte der sadistischen Ausbeutung kleinbürgerlicher Liebes- und Ehewünsche. Victor spielt mit Sybilles sexuellen Komplexen, demütigt sie, wo immer er kann, und spielt das Konkurrenzverhältnis zwischen Mutter und Tochter aus. Letzten Endes ist er jedoch nur Mittel zum Zweck, hält der Spießbürgerfamilie den Spiegel vor. Als er beim Blues im Wohnzimmer die Mutter vor den Augen ihrer Tochter und ihres Ehemanns zum Sex verführt, zeigt sich, wie leicht jene Scheingewissheiten – Mutterliebe und eheliche Treue – zu brechen sind. Victors Spiel kann nur gelingen, weil hinter scheinbarer Familienharmonie Einsamkeit und Kommunikationslosigkeit lauern.

Es gibt kein Happyend. Sybille versucht bis zuletzt ihren Gigolo zu halten, dessen reale Charaktereigenschaften sie zugunsten ihres verschrobenen Traums vom Rosenkavalier verdrängt. Der Film spielt seine seelischen Grausamkeiten konsequent bis zur Schmerzgrenze durch, sodass auch der Fernsehzuschauer nicht anders kann, als Ekel zu empfinden. Die Devise der Filmfiguren: weder Selbstachtung noch Achtung vor dem anderen. Im Verlauf des Films wird der Nutznießer dieser Verhältnisse zunehmend unwichtig: Der charmante Taugenichts und Egozentriker Victor macht unangenehme Wahrheiten nur sichtbar. Man wird diesen Film wohl nicht unbedingt mögen, aber vergessen kann man ihn nicht.

GITTA DÜPERTHAL