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: Institutionen des Berliner Ausgehlebens und ihr Ende: Das Obst und Gemüse

Kreativer Aufbruch, bierseliger Abbruch

Am Mittwoch war die Hütte noch mal voll. Fußballfans und Freunde des Hauses fanden sich an diesem Tag schon früh im Obst und Gemüse ein, um die Türkei gegen Brasilien im Halbfinale der Fußball-WM gewinnen oder verlieren zu sehen; aber auch, um dem Café in der Oranienburgerstraße einen letzten Besuch abzustatten und es mit fliegenden Kronkorken hochleben zu lassen. Denn heute abend ist Schluss, auch das Obst und Gemüse geht den Weg alles Vergänglichen und lässt die Rolläden unten. Der Mietvertrag läuft aus, das Haus wird im Juli eingerüstet und renoviert, und die Betreiber haben nicht vor, es an anderer Stelle im alten Gewand und mit alten Namen weiterzuführen.

Ein Grund zur Trauer. Das Obst und Gemüse ist eine Institution des Berliner Ausgehlebens gewesen, ein Laden, der zuletzt wie ein Fels in der Brandung der Gentrifizierung in Mitte stand. Nichts schien ihm etwas anhaben zu können: nicht die vielen Touristen, nicht die immer zahlreicher und zugleich stylischer und seelenloser werdenden Lokalitäten in der Oranienburgerstraße und nicht die neuen Bewohner von Mitte mit ihren sexy Achtzigerjahreklamotten und den obligaten Latte-Tassen in der Hand.

Dass der Druck der Umgebung trotzdem ein nicht ganz kleiner war, darauf deuteten im Verlauf der Jahre die allesamt gescheiterten Versuche der Betreiber hin, das Angebot zu erweitern: Mal gab es Frühstück, dann Sushi, schließlich kleine Gerichte aus dem benachbarten Fresco, dessen Personal in dreckigen weißen Schürzen immer verzweifelt mit den Tellern in der Hand nach den Leuten suchte, die bestellt hatten.

Den soliden, spröden Charme des Obst und Gemüses aber konnten selbst diese Zugeständnisse nicht zerstören. Das spartanisch eingerichtete Café mit seinen beiden Gasträumen blieb immer stärker als seine durchweg unterschiedlichen Gäste mitsamt ihren Begehrlichkeiten. Obwohl das Obst und Gemüse nichts weniger im Sinn hatte, als ausschließlich eine sowieso nur diffuse Szene anzusprechen, lief es in vielen Reiseführern immer unter der Rubrik „Szenecafé“. Das hatte höchstens anfangs seine Berechtigung. Denn als drei gestandene Frühdreißiger aus Kreuzberg und Schöneberg das Gemüse 1992 öffneten, war es eine der ersten Anlaufstellen von Leuten, die von Läden wie dem M oder dem Morena die Schnauze voll hatten. Diese wollten die neuen Bezirke erkunden und trafen hier auf die Mitte-Kiezbewohner, Tacheles-Künstler und –Pseudokünstler, später auch auf HU-Studenten und Reisebustouristen.

Im Gemüse ging damals eine Menge, da herrschte kreative Aufbruchstimmung und bierselige Abbruchstimmug. Illegale Bars, Wohnzimmerkonzerte, Netzwerkkultur, you name it. Und im Gemüse herrschte darüberhinaus eine für Berlin ungewohnte Offenheit. Fußballgucken ging schon 1994 okay, auch dänische und schwedische Männergruppen, die sich abends um zehn nach einem Besuch im Friedrichstadtpalast hierher verirrten, bekamen ihr Budweiser oder Beck’s in die Hand, und das Personal trug nicht die Nase hoch, wie man das aus einschlägigen Locations im Westteil der Stadt kannte, sondern war stets zu einem Pläuschen über Gott, die Welt, den neuen Poschardt, die neue Sterne oder das gegenüberliegende Tacheles bereit.

Die Zeiten marschierten dann nach und nach über das Obst und Gemüse hinweg, doch hinsichtlich Einrichtung, dem Kerngeschäft mit den kalten und heißen Getränken sowie der Aufgeschlossenheit des Personals bot man dem Treiben auf der Oranienburger Straße souverän die Stirn. Wenn man sich in der Gegend verabredete und vorher oder nachher was trinken gehen wollte, dann war bis zuletzt klar: Obst und Gemüse. Weil es toll war und es nichts Vergleichbares gab.

Was bleibt sind ein paar Erinnerungen. Und, seltsamerweise, das Hackbart’s ein paar Blocks weiter in der Auguststraße. Das galt seinerzeit unter den Alteingesessenen, wie übrigens in seinen Anfängen auch das Obst und Gemüse, als Vorbote des neuen, unsympathischen Berlins und ist mittlerweile selbst ein Dinosaurier mit Kiezanbindung. So kann das gehen.

GERRIT BARTELS