Jetzt hilft nur noch beten

US-Bundesgericht erklärt den traditionellen Treueschwur auf die amerikanische Flagge für verfassungswidrig. Präsident empört, Senat wütend. Oberster Gerichtshof soll neu urteilen

WASHINGTON taz ■ Amerika ist in Aufruhr. Das morgendliche Gelöbnis an Schulen – Hand aufs Herz, strammstehen, Blick zur US-Fahne – sei verfassungswidrig, urteilte am Mittwoch ein US-Bundesgericht in San Francisco. Eine der wichtigsten patriotischen Traditionen müsste damit abgeschafft werden.

Schüler einen Eid auf „eine Nation vor Gott“ („a nation under God“) sprechen zu lassen sei nicht zulässig, weil damit zugleich eine Aussage über die Existenz Gottes und ein Bekenntnis zu einem monotheistischen Glauben verlangt werde, meinten die Richter. Die Trennung von Kirche und Staat werde damit verletzt.

Damit gaben sie der Klage eines Vaters und bekennenden Atheisten aus dem kalifornischen Sacramento Recht, der die Auffassung vertrat, mit dem regelmäßig zu Schulbeginn gesprochenen Schwur zwinge die US-Regierung seiner Tochter einen bestimmten Glauben auf.

Der Eid stammt aus dem Jahr 1892 und wurde 1942 vom Kongress festgeschrieben. Doch erst 1954, mitten im Kalten Krieg mit dem atheistischen Kommunismus, ergänzte der Kongress den Schwur um die Worte „under God“. Der damalige Präsident Eisenhower glaubte, so die „Hingabe unserer Nation und unseres Volkes an den Allmächtigen“ besser ausdrücken zu können.

Das Urteil löste landesweit heftige Proteste aus. Der bibelfeste Präsident George W. Bush bezeichnete es als lächerlich. Die Chefs der Republikaner und Demokraten im Senat, Trent Lott und Tom Daschle („Schundjustiz“), kündigten an, dass das Parlament die Entscheidung nicht akzeptieren werde. „Entweder wird das Urteil vom Obersten Gericht zurückgewiesen, oder wir machen das im Kongress“, sagte Lott. Spontan versammelten sich Dutzende Kongressabgeordnete auf den Treppen des Capitols und sangen „God bless America“.

Vor allem die christlichen Rechten gingen auf die Barrikaden. Sie äußerten sich entsetzt und warfen dem Gericht vor, eine Verfassungskrise zu provozieren. Die Richtermeinung sei absurd und das Urteil die schlechteste Entscheidung, die jemals von einem Bundesgericht gefällt worden sei.

Rechtsexperten gehen davon aus, dass der Oberste Gerichtshof die Entscheidung bald rückgängig machen wird. Schließlich stellte selbst einer der drei beteiligten Richter in seiner abweichenden Meinung fest, dass das Urteil zwar in juristischer Hinsicht Bestand habe, jedoch Gefahr laufe, „die Prinzipien und das allgemeine Verständnis“ des den Gesetzen zugrunde liegenden Rechtssystems zu verletzen.

MICHAEL STRECK

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