Aus der Badewanne

Im taz-Interview: Der Bremer Autor Martin Brinkmann, Mitherausgeber des Short-Story-Sammelbandes „20 unter 30 – Junge Deutsche Autoren“

Das Cover dieser Anthologie ziert eine Lage roher Eier. Die sind bekanntlich zerbrechlich. Und nach dem letzten Eierskandal auch als chemische Keule verwendbar. Ob schwer verdaulich, melancholisch oder Popstil – „eine Zensur oder Trendsetzung bei den Texten des Sammelbandes war nicht vorgesehen“, so Mitherausgeber und Autor Martin Brinkmann (26). Im letzten Jahr debütierte er mit dem Roman „Heute gehen alle spazieren“. In diesem Sommer schart Brinkmann zusammen mit seinem Lektor Werner Löcher-Lawrence andere Jungautoren um sich: Darunter viele preisgekrönte, illustre SchreiberInnen. Die bekannteren und teils mit Pop-Status versehenen sind Alexa Hennig von Lange („Relax“), Zoe Jenny („Das Blütenstaubzimmer“, „Ruf des Muschelhorns“) oder Juli Zeh („Adler und Engel“), letztere erst jüngst für ihren Debütroman ausgezeichnet mit dem Nachwuchsförderpreis des Bremer Literaturpreises 2002.

taz: Das Alter als Auswahlkriterium einer Anthologie – das übernimmt doch den Virus des um sich greifenden Jugendkultes in der Gesellschaft. Geht das gut?

Martin Brinkmann: Anthologien verkaufen sich erfahrungsgemäß schlecht. Sie brauchen einen Aufmacher, ein reißerisches Thema. Der Altersrassismus kommt da gerade recht. Zur Zeit erscheinen zahllose Debüts junger, mehr oder weniger talentierter Schreiber. Diesen Trend, der einem Publikumsinteresse zu entsprechen scheint, auf seine brauchbarsten, besten Protagonisten hin zu überprüfen, halte ich für ein legitimes Vorgehen.

Was verbindet die Texte dieser Autoren? Haben sie etwas Gemeinsames?

Was auffällt, ist die Rückkehr zum Narrativen. Das Experiment hat anscheinend ausgedient. In der Verwendung einer funktionellen, unverspielten Sprache unterscheiden sich Autorinnen wie Zoe Jenny oder Juli Zeh übrigens deutlich von Vertretern der sogenannten Pop-Literatur. Die gehen ja mittlerweile schon auf die Ende dreißig zu. Ebenso steht der Markenfetischismus unter einem sinkenden Stern. So schnell ändert sich also die Sicht auf die Welt. Inhaltlich gibt es bei diesen Leuten keine Gemeinsamkeiten. Da ist der im Ionesco-Stil abgefaßte Gedankenstromtext vom schnöseligen Xaver Bayer aus Wien, Bettina Galvanis Erzählung von dem jungen depressiven Mädchen oder der Ruhrpott-Rapp-Proleten-Text von Sener Saltürk – also ich sehe da keine Gemeinsamkeiten, außer daß alles in derselben Altersgruppe stattfindet.

Warum hält sich der Nachwuchsautor Brinkmann in Bremen auf und nicht in Berlin? Da tummelt sich doch nahezu alles, was Rang und Namen hat - oder dieses vorgibt.

Ich studiere in Bremen, bin gerade dabei, mein Germanistikstudium zu beenden. Andere Universitäten wollten mich nicht haben. Deshalb bin ich wohl hier. Was die Autoren von „20 unter 30“ angeht, die kommen fast alle aus Berlin, München oder Leipzig. Letzteres hängt mit dem dortigen Literaturinstitut zusammen.

Dabei sind elf Frauen und neun Männer. Quote oder Zufall?

Es scheint tatsächlich mehr Frauen zu geben, die in jüngeren Jahren brauchbare Texte schreiben. Ich habe mich um ein ausgeglichenes Verhältnis bemüht, aber es hat nicht geklappt. Leider habe ich noch keine These entwickelt, die mir das Missverhältnis unter den Geschlechtern erklären könnte. Außer, dass die Frauen den Männern ja schon früh einiges voraus haben sollen.

In den Texten habe ich das Satirische vermißt. Ich hätte bei Autoren unter dreißig mit buffigeren, knalligeren Texten gerechnet. Das Leben scheint ernster geworden zu sein. Findet da eine neue Sinnsuche statt?

Das stimmt. Die Texte sind in der Mehrzahl sehr ernst. Das vermute ich auch, dass das Leben ernster geworden ist. Vielleicht ist es aber auch so langweilig und abgesichert geworden, dass dies mit Ernst verwechselt wird.

Und das Politische – wo finden wir das?

Ich stelle fest, daß es vielen jungen Autoren eher peinlich ist, solche Themen anzusprechen. Man merkt dann ja gleich die Absicht: Aha, da will mich jemand zum Nachdenken anregen, da will mich jemand vor Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit warnen und bewahren. Das kennen wir alles.

Also nicht mehr Makrokosmos – was aber dann?

Es geht um das Stichwort Erfahrung. Die präzise, nahezu analytische Darstellung von scheinbar nebensächlichen Begebenheiten vergrößert unser Wissen von der Welt und von den Menschen. Da alle großen Probleme von diesen verursacht sind, kann ich gar nicht genug über diese Spezies und ihre Eigenschaften wissen wollen. Silke Scheuermann erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das mit einem ebenso jungen Mann in die Badewanne steigt, kaum drin, will sie gleich wieder raussteigen. Das ist doch ein großes Rätsel. Die Geschichte erklärt mir das Phänomen nicht abschließend, aber allein die Beschreibung wirkt beruhigend.

Literatur also als Beruhigungspille. Wären dann nicht dicke Romane gefragt?

Ich glaube, die Erzählung entspricht unserer Zeit. Sie läßt sich zwischendurch oder kurz vorm Einschlafen konsumieren. Für mehr ist ohnehin selten Zeit. Außerdem hat sie den Vorteil, auf engstem Raum ganze Romane zu erzählen, wenn sie denn gut ist. Leider ist der klassische Ort der Short-Story, die Zeitung, kein Ort mehr für sie. Dort druckt man anscheinend lieber Bilder, Anzeigen oder Interviews.

Interview: Kris Kupka

„20 unter 30 – Junge deutsche Literatur“ ist erschienen bei der Deutschen-Verlags-Anstalt.