: Grobe Metaphorik
Bedeutendste Frau im überbordend männlich selbstbewussten Dancehall: Lady Saw in der Fabrik
Im Grunde, sagt Marion Hall, sei sie ein schüchterner Mensch. Aber die meisten kennen sie auf einer der Dancehall-Bühnen Jamaikas: große, schmutzige Worte schmetternd, noch ein bisschen größer und schmutziger als die ihrer Konkurrenz. Wenn sie zu singen beginnt, wird Marion zu Lady Saw, jener Figur die es seit Beginn der 90er Jahre zur führenden Dancehall-Künstlerin brachte – und das in einem Genre, das reich gesegnet ist mit überbordend selbstbewussten Männern.
Sie hat eine Stimme, die sich aus Hunderten erkennen lässt: dunkel, fordernd und ein bisschen gelangweilt, charakteristisch für Menschen, die es nicht mögen, wenn ihnen jemand die Butter vom Brot nehmen will. Und genau darüber sang Lady Saw auch: Dass sie beim Sex auf ihre Kosten kommen will. Bevorzugt wurde grobe Metaphorik, in Stücken mit Titeln wie „Stab Out the Meat“ oder „Life Without Dick“ empfahl Lady Saw fürs Bett „harte Arbeiter“-Typen – gerne auch zwei.
Ihre provokanten Slogans waren nicht einmal sonderlich originell, hatte sie doch nicht viel mehr getan als die pornographisch-expliziten „Slackness Lyrics“ ihrer männlichen Kollegen aus einer weiblichen Perspektive zu erzählen. Und doch: In Jamaikas Medien wurde der Vorwurf der „Obszönität“ erhoben, es folgten Auftrittsverbote in Teilen der Insel. „What Is Obsene?“ betitelte sie daraufhin eines ihrer Stücke, in dem es hieß: „Es ist Slackness, wenn die Straße nicht repariert wird, es ist Slackness, wenn die Regierung ihre Versprechen bricht, es ist Slackness, wenn Politiker Waffen aushändigen, mit denen die Banden des Ghettos sich gegenseitig niederschießen.“ Vom Sex hatte Lady Saw die Aufmerksamkeit zur Politik mitgenommen – und sie hatte Recht.
Mitte der 90er Jahre näherte sich die Slackness-Konjunktur ihrem Ende. Viele Künstler wendeten sich geschichtsbewussten Inhalten zu oder wurden Rastas, wie einst Bob Marley. Passion war der mehrdeutige Titel von Lady Saws 1997er LP. Auf dem Cover posierte sie als Mafia-Don: mit blond gefärbten Haaren, Business-Anzug, herabgezogenen Mundwinkeln und – klar – Zigarre. Der pompösen Aufmachung lag eine einfache Botschaft zugrunde. Die Zeit in der sie die Butter auf dem Brot noch verteidigen musste, war vorbei. Sie konnte sich Extravaganzen erlauben wie jenen Abstecher nach Nashville, wo sie „Loverboy“ aufnahm, ein fast lupenreines Country-Stück inklusive jaulender Western-Gitarren.
Mitunter schlug sie nun moderate Töne an, wenn es ums Thema Nr. 1 ging, wieder in die grobe Abteilung rutschte dagegen ihre Answer-Version zu Shaggys Mega-Hit „It Wasn‘t Me“: Wo das Original die Freuden des Freundin-Betrügens besingt, konterte sie mit rüdem „Son of a Bitch“. Und noch ein Thema gibt es, bei dem sich die Lady nicht an der Nase herumführen lässt: „Warum sollen von den 8000 Dollar, die ich für eine Show bekomme, 2000 an einen Manager fließen?“, fragte sie einmal. „Ich kann für mich selber sprechen.“
Nils Michaelis
mit „The Scrucialists“ und Trilla Jenna: morgen, 21 Uhr, Fabrik
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