berliner szenen Alte Freunde

Erinnerung, sprich!

Ich sagte „Hi“ und er sagte „Jo“, bevor er mich bat hineinzukommen. Wir guckten uns kurz an und grinsten andeutungsweise; ich zumindest – bei seinem andeutungsweisen Grinsen verzog er seine Mundwinkel nicht, darin bestand seine Meisterschaft. Er musste kurz zuvor einen geraucht haben, seine graublauen Augen waren noch triefiger als gewöhnlich. Er glitt in die wie immer blitzeblanke Küche, setzte sich wie immer auf seinen Stuhl nahe der Tür und der Dunstabzugshaube und wartete, bis ich mich gesetzt hatte. Dann begann er zu erzählen.

Wir hatten uns lange nicht mehr gesehen. Nach einem kurzen Update in Sachen Fußball – wir beide guckten fanatisch und verehrten sehr unterschiedliche Mannschaften – erzählte er von der Fassbrause früher: wie gut die geschmeckt hatte, wie schön es gewesen war, als Kind mit einer Kanne Fassbrause zu holen und manchmal die volle Kanne herumzuschwenken und manchmal hatte sich der Henkel gelöst wie bei jedem Kind der Sechzigerjahre. Und Kuchen, ach Kuchen, wie gut hatte der Kuchen geschmeckt. Er schwelgte in Kuchenerinnerungen und dass man solche Kuchen ja schon lange nicht mehr bekäme, während ich daran dachte, dass die Deutschen ja gegen eine Mannschaft gespielt hatten, die das Zeichen auf ihrer Fahne haben, das ich als Teenager auf Federtasche und Schulbücher gemalt hatte.

Eine Weile war es sehr angenehm in der Hitze des Nachmittags, wie die Sätze, die er mehr für sich als für mich sprach, so vorbeigingen. Der Besuch bei dem alten Hippie erinnerte mich an die Besuche bei meinem Opa früher – wir hatten uns nichts zu sagen und fühlten uns trotzdem wohl. Als mir dann langweilig wurde, ging ich einfach wieder.

DETLEF KUHLBRODT