: How I Won The Witzkrieg
Die CARICATURA IV in Kassel beweist: Deutscher Humor ist besser als englischer
KASSEL taz ■ „Kassel-Wilhelmshöhe, hier Kassel-Wilhelmshöhe. Sie haben Anschluss.“ Seit die Vorort-Station Anfang der Neunzigerjahre zum ICE-Bahnhof umgebaut wurde, fahren die Fernzüge an Kassel vorbei. Wer in die Stadt will, muss in die Regionalbahn umsteigen. Nur ein paar Minuten sind’s zum Hauptbahnhof – und die sind ein bisschen surreal. Offenbar ist hier die Zeit stehen geblieben, das weite Gleisgelände vor dem Kopfbahnhof ist äußerst abenteuerlich. Hüfthohes Grünzeug im Gleis-Labyrinth; inmitten der Weichen auf einem Sockel: ein einsamer Personenzug-Waggon der Vorkriegs-Reichsbahn, mit Geranien vor den Fenstern. Wer wohnt hier? Gleisarbeiter? Documenta-Künstler?
Dann endlich: der alte Hauptbahnhof, immerhin nach Frankfurt der zweitgrößte in Hessen. Er wird nur noch für den Regionalverkehr genutzt. Dem Verfall ausgesetzt ist er jedoch nicht: Ein paar Millionen Euro haben Kasseler Kulturbetriebe, das Kulturamt und die Deutsche Bahn seit 1995 in die Sanierung investiert und einen „KulturBahnhof“ geschaffen. Von der Bahn nicht mehr benötigte Räumlichkeiten wurden mit neuen, überwiegend kulturellen Nutzungen belegt. So entstanden ein Programmkino, mehrere Galerien, Werkstätten und mehr. Teile der documenta sind im Südflügel untergebracht, dem ehemaligen Postumschlaggebäude. Und gleich rechts vor dem Haupteingang, in der alten Kleiderkammer der Bundesbahn, residiert die CARICATURA. Thema der documenta-begleitenden Ausstellung: der englische Humor.
Angeblich ist er ja so viel besser als der deutsche. Und Schirmherr Hans Eichel zitiert in seinem Grußwort den englischen Schauspieler David Niven, nach dessen Vorstellung „Köstlichkeiten der englischen Küche“, aber auch „1000 Jahre deutscher Humor“ zu den dünnsten Büchern der Welt gehören müssten. Dabei ist deutscher Humor dem englischen durchaus überlegen – und das nicht erst seit der „Neuen Frankfurter Schule“ oder seit Harald Schmidt. Die CARICATURA beweist es mit 51 der besten deutschen Zeichner und Autoren. Sie alle haben es sich in den „English Lessons“ zur Aufgabe gemacht, den englischen Humor in zehn übersichtlichen, thematisch getrennten „Units“ würdigend zu erschließen. „Unit 7“ zum Beispiel widmet sich den Royals, und nicht nur hier macht es einfach großen Spaß, die oft aberwitzigen Zeichnungen anzuschauen.
Englische Zeichner und Autoren wurden nicht zur Ausstellung eingeladen, „schließlich bestimmen in Deutschland immer noch wir, was englischer Humor ist“, sagen die Macher. Eine Ausnahme gibt es: Catherine Blair alias Brenda X ist Tochter des letzten englischen Henkers und hat ein paar hervorragende Bilder beigesteuert. „There goes my nose“ zum Beispiel. Doch auch die Zeichnungen von F. W. Bernstein, F. K. Waechter, Rudi Hurzlmeier und anderen reizen oft dazu, auf der Stelle in schallendes Gelächter auszubrechen.
Auf Ausstellungen präsentierte Texte sind jedoch immer ein wenig anstrengend, auch wenn sie gut sind. Nicht nur deshalb lohnt die Anschaffung des zur CARICATURA IV erschienenen vierfarbigen Buchs, das auch als Katalog dient: „English Lessons, learning humour – the komische kunst in 10 lessons“. Neben den Zeichnungen sind auch sämtliche Texte enthalten, und einer der schönsten ist vielleicht die Geschichte von Meisterkoch Vincent Klink. Darin beschreibt er minutiös seine Erfahrungen mit humorlosen englischen Türstehern und Kellnern.
Die Kasseler Ausstellung kann durchaus als Bestandsaufnahme der Protagonisten der komischen Kunst gewertet werden. Spätestens jetzt ist klar: Der deutsche Humor ist besser als sein Ruf – auf der Insel und daheim. Er ist auch besser als der englische, besonders wenn The Sun gelegentlich den „Witzkrieg“ gegen „The Funny Krauts“ erklärt. Bernd Gieseking hat sich für die Ausstellung streng wissenschaftlich in einer „bahnbrechenden Untersuchung“ mit dem englischen Humor befasst. Seine Zusammenfassung beginnt mit den Sätzen: „Ja, es gibt englischen Humor. Besonders in England.“ Man darf den in Kassel gezeigten Humor jedoch nicht mit der „Witzischkeit“ deutscher TV-Comedyshows verwechseln. Ein Stefan Raab ist nicht witzig, sein Humor besteht aus permanenter Denunziation: Guck doch mal, wie blöd der ist.
Der Humor, den die Ausstellung ausstrahlt, ist jedoch durchaus alltagstauglich. Es ist schade, dass ihn nur wenige der vielen Pendler, die im Kasseler Kulturbahnhof täglich zu ihren Zügen eilen, überhaupt wahrnehmen. Dabei wäre das überhaupt kein Problem: Die Zeichnungen und Texte sind noch bis zum 15. September 2002 zu sehen, und täglich ist bis 20 Uhr geöffnet.
DIETER GRÖNLING
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