Piccolo und die rote Heidi

Manchmal wünscht sich Kandidatin Köhler die CDU liberaler, auf Roland Koch aber lässt sie nichts kommen

aus Wiesbaden HEIDE PLATEN
und PAT MEISE (Fotos)

Die beiden Frauen wollen am liebsten gar nichts voneinander wissen. Bei ihren Auftritten erwähnen sie sich nicht einmal. Auf Nachfrage, was sie von Heidemarie Wieczorek-Zeul halte, sagt Kristina Köhler nur „Hm.“ Heidemarie Wieczorek-Zeul verzieht das Gesicht, ihre Stimme wird lauter und tiefer, in ihrem leichten südhessischen Dialekt sagt sie: „Na, da hab isch aber grad Lust zu!“

Die Unterschiede könnten kaum augenfälliger sein im Wahlkreis 180 in Wiesbaden. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (59) ist so groß und raumfüllend wie Kristina Köhler (25) klein und quirlig. Die junge Herausforderin von der CDU steht gegen die etablierte SPD-Konkurrentin mit dem Ministerbonus.

Kristina Köhler: Die christdemokratische Einsteigerin weiß, dass sie erst einmal keine Saalfüllerin ist. Wo aber die Basis nicht kommt, da geht sie hin, aufsuchender Wahlkampf zu Fuß, Klinkenputzen, Rosen an Haustüren verteilen. Bei ihrem ersten größeren Auftritt stürzt sie sich in ein Getümmel, in dem sie fast untergeht. Man könne sie schnell finden, hatte sie gesagt. „Wir sind nicht zu übersehen.“ Sie habe „ganz viele Helfer“ und die seien an ihren gelben T-Shirts zu erkennen.

Das Wilhelmstraßenfest auf der Wiesbadener Einkaufsmeile zwischen Bahnhof und Spielcasino ist gerade genau so alt geworden wie die Kandidatin. Es ist eines der aufwändigen, der luxurierenden Straßenfeste mit Edelnippes, Cocktailständen und Musikbühnen. Die Menschen amüsieren sich, an Wahlkampf denkt niemand. In der Spießbratenbude schwitzen die Frauen in gelben T-Shirts, zu Kristina Köhlers Team gehören sie nicht. Auch das Publikum, das sich bei schönstem Wetter in den zwei Gängen zwischen den Ständen auf Tuchfühlung drängelt, trägt an diesem Abend helle Kleidung. Kristina Köhler will trotzdem erkannt werden mit ihrem Team, ihre Unbekanntheit hat sie deshalb in ihre Kampagne integriert. Ihre Crew verteilt hellgelbe Flyer mit dem Konterfei der Kandidatin: „Frisches Wiesbaden!“ Wer sie entdeckt, wird darauf versprochen, bekomme eine Piccoloflasche Sekt geschenkt.

Kristina Köhler ist aufgeregt. Schon vorher hat sie in der CDU-Geschäftsstelle ihre Helfer genau instruiert. Dass ja nicht der Alkohol an Jugendliche verteilt wird. „Guckt, dass die Leute so aussehen, als seien sie volljährig!“ Dann hat Köhler die Flaschen geschultert, ist mit ihren Anhängern die Treppe abwärts geklappert und hat halbernst befürchtet: „Es wird uns keiner erkennen!“ Ihr Team wettet auf Treffer zwischen 25 und 175.

Heidemarie Wieczorek-Zeul: Die Ministerin hat Routine und die Ruhe weg. Piccolo-Mätzchen hat sie nicht nötig. Am Tag, an dem ihre Konkurrentin in Wiesbaden beim Wilhelmstraßenfest auftritt, ist sie zum Hoffest der SPD-Ortsvorsteher in die Parteizentrale nach Frankfurt am Main gefahren, weniger als Wahlkämpferin denn als Motivationshilfe für die eigene Parteibasis, so wie sie am Anfang ihrer Zeit als Entwicklungsministerin mehr eifrig als effektiv zu den Krisenorten der Welt eilte. Hier in Frankfurt, in der Fischerfeldstraße, hat sie ihre Wurzeln, trat sie 1965 in die Partei ein. Da sei sie als Studentin auf der Suche nach der Partei „einfach hingegangen“ und gefragt worden: „Wer hat Sie denn geworben?“ „Niemand“, habe sie da gesagt: „Ich will hier rein!“

Die Damen warten auf den gut aussehenden Gast: Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin

Wieczorek-Zeul ist eine, die eigentlich alles lieber selber machen würde. Das hat sie immer so gehalten, als Pädagogin in Rüsselsheim, als Vorsitzende des traditionell linken SPD-Bezirks Hessen Süd, als Europapolitikerin und seit 1998 auch als Bundesministerin für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ein schneller Blick in die Runde, dann erst einmal Stehtischchen rücken mit Ministerin, besser hierhin damit, mehr in den Schatten, die Finger mit den rot lackierten Nägeln schnippen: „So!“ Wieczorek-Zeul ist zufrieden.

Kristina Köhler trat 1991 als Schülerin in die Partei ein und amtiert seit 1997 als Kreisvorsitzende der Jungen Union in Wiesbaden. Im Februar hat sie ihr Soziologiestudium abgeschlossen, bisher war sie Mitarbeiterin einer hessischen CDU-Landtagsabgeordneten. Sie wolle mitgestalten, sagt sie: „Es gibt zwei Möglichkeiten. Politik wird mit mir gemacht, oder ich mache Politik.“ Manchmal habe sie sich „schon ein bisschen mehr Liberalität“ von der CDU gewünscht. Und die Schwarzgeldaffäre hält sie für „einen Riesenscheiß“. Aber: „Das ist alles aufgeklärt worden.“ Auf Ministerpräsident Koch lässt sie nichts kommen: „Man kann ihn nicht persönlich dafür in Haftung nehmen.“ Als Abgeordnete wolle sie sich auf Bildung, Forschung und Familienpolitik spezialisieren. Im Internet dankt sie den Lesben und Schwulen in der Union für deren Unterstützung und bestimmt ihre Wahlkampfstrategie: „Festhalten an Bewährtem und Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem.“

Beim Wilhelmstraßenfest schreitet sie energisch voran. Der Tross eilt hinterher, die Vorausabteilung mit den Handzetteln ist schon in der Menge verschwunden. Kein Mensch erkennt Kristina Köhler. Auch wenn sie so prominent wäre wie Heidemarie Wieczorek-Zeul, würde sie wohl keiner erkennen, denn die kleine, schmale Person wird von den meisten Besuchern überragt. Ihre Begleiter praktizieren Galgenhumor und erwägen, eine Bühne zu entern und von oben zu verkünden: „Hier ist Kristina Köhler!“ Die Frauen am Bratenstand wenden Spieße und Zwiebeln.

Als sich die Verteilergruppe und ihre Kandidatin wieder treffen, funktioniert es endlich. Einer ihrer Helfer drückt einem ahnungslosen Festbesucher ein Flugblatt mit Köhler-Foto in die Hand: „Da vorne geht sie.“ Der Besucher blickt auf und identifiziert Köhler auf Anhieb. Die Kandidatin wird mutiger. Sie lächelt, ergreift die Initiative, geht auf die Leute zu und drückt ihnen ein Fläschchen in die Hand. Zu ihrem Team sagt sie: „Ich bin ja selbst froh, wenn ich das Zeug loswerde.“

In Höhe der Burgstraße stehen die Menschen nicht mehr so dicht gedrängt. Kristina Köhler wird ein Dutzend Mal auch ohne diskreten Hinweis erkannt, endlich. Ihr Wahlprogramm wird sie in Trubel und Lärm nur in Halbsätzen los: „Mehr Geld für Kinder und …“ Ein paar junge Zigarrenraucher erklären ihr: „Wir wählen FDP!“ Der Kandidatin fällt dazu nichts ein. „Und nun?“, fragt sie. Nach anderthalb Stunden ist die Tasche mit den Fläschchen fast leer geworden. Schließlich erkennt noch einer die Kandidatin. Sie zückt einen der letzten Piccolos. „Ich trinke keinen Sekt“, sagt der potenzielle Wähler. „Und was nun?“, fragt Köhler wieder.

Das Café Maldaner in der Wiesbadener Innenstadt, in der Fußgängerzone neben dem Landtag, ist eine klassische, altbackene Schönheit. Da sitzen sommers und winters gerne elegante ältere Wiesbadenerinnen und erfreuen sich bei Sahnetorten ihrer Witwenrente. Heidemarie Wieczorek-Zeul hat den Ort für eine öffentliche Gesprächsreihe gewählt. Ihr Gast ist Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin. Mit ihm will sie über Grundwerte diskutieren. Die Tischchen im hinteren Raum sind gut besetzt. Auch konservative Damen finden Gefallen an ihm. Gut sehe der Professor aus, sagt eine Warenhauseinkäuferin im Ruhestand, und klug sei er auch, „dabei bin ich eine Schwarze“. Die Wiezcorek-Zeul mag sie nicht: „Die bleibt für mich immer die rote Heidi.“ Sie mutmaßt mit Blick auf das vorwiegend weibliche Publikum, dass „er“ und nicht „sie“ den Saal gefüllt habe. „Sie“ kommt pünktlich, er nicht. Deshalb habe „er“, erklärt die Einkäuferin, ja auch den Spitznamen „Nie da“-Rümelin. Währenddessen übernimmt Wieczorek-Zeul die Regie, sorgt sich um die Mikrofone, die Sitzordnung, den verspäteten Gast. Tischchen rücken mit Ministerin, „dass wir so nah wie möglich an den Leuten dran sind“. Und: „Vielleicht noch die Tür zu?“

Ministerin Wieczorek-Zeul verfügt über Ruhe und Routine. Moderne Mätzchen hat sie nicht nötig

Wieczorek-Zeul versucht sich als Pausenfüllerin, schreitet die Tische ab und begrüßt die Gäste. Die atmen auf, als Nida-Rümelin endlich den Raum betritt, sich mit Schmusestimme entschuldigt. Wieczorek-Zeul erzählt von ihren sozialdemokratischen Frankfurter Wurzeln, dem Parteieintritt in „der bleiernen Zeit“ der 60er-Jahre. Nida-Rümelin übernimmt den philosophischen Teil von Konfuzius bis zum Gastrecht im Islam, Wieczorek-Zeul den praktischen Aspekt. Hilfe, vor allem gerechte Handelsbedingungen für die armen „Partnerländer“ der Welt, sagt sie, seien für sie die einzige Alternative zu Armut, Ungerechtigkeit und Krieg. Ihre Stimme wird höher, kratzt, da schwingt Empörung. Dass in dieser Welt täglich Menschen verhungern, das lasse sie „nicht schlafen“.

Zum Ende der Veranstaltung eilt Nida-Rümelin davon, Wieczorek-Zeul bleibt. Sie hört sich die Querulanten ebenso an wie Gäste mit Randgruppeninteressen und solche, die einfach mal Dampf ablassen wollen. Und organisiert auch ihren Abgang publikumsverträglich, nimmt Telefonnummern entgegen, reicht Zettel an ihre Mitarbeiter weiter, verabschiedet sich mit Handschlag und herzhaftem „Tschüss!“

Die älteren Damen sind längst fort, spornstreichs zum Ausgang, hinter Nida-Rümelin her für einen letzten Blick durch die Fußgängerzone.