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Lustvolle Anarchie

Kultursommer in Oldenburg: Das Shiburasashirazu Orchester feierte nackte Haut und John-Zorn-Avantgarde

Die Posaune quasselt mit der Tuba, das Schlagzeug verzieht sich Richtung Jazz

Ein silberner Drache schwebt über dem Oldenburger Schlossplatz. Schräge Saxophonklänge aus angelaufenen Instrumenten klingen durch die Menge. Eine schrille Karawane zieht über den Platz: Musiker, ein trashiger Engel und eine vermummte Ärztin, die die Herzen der Zuschauer abhört. Bumm Bumm, ein langweiliger Beat.

Da hat das japanische Shiburasashirazu Orchester anderes zu bieten. Die dreiunddreißigköpfige Formation wurde erstmals 1992 auf dem Tokioter Unterweltfestival „Tsukuba“ auffällig.

Klar, dass dieses Orchester aus dem japanischen Off kommt, denn was die MusikerInnen und PerformerInnen bieten, ist das genaue Gegenteil der legendären japanischen Disziplin, nämlich lustvolle Anarchie. Jedenfalls scheinbar. Denn tatsächlich ist die Mischung aus rasanten Polka-Rhythmen, traditionellem japanischem Enka, freiem Funk, Jazz, Nummerngirls und Buthotanz bei aller improvisatorischen Freiheit absolut durchchoreographiert: Irgendwo zwischen Wilhelm Breuker und der frühen Lower East Side Szene um John Zorn und Elliot Sharp und doch ein eigener tartarischer Ritt.

Blondperückchen schwingen ihre netzbestrumpften Beine, eine Revueparodie. Buthotänzer entrollen auf den Boxen ihre weißbestäubten Körper, fast gänzlich nackt und haarlos. Sich belebenden Statuen gleich erwacht hier Muskel um Muskel und dreht die Körper in schiefe Lagen. Rockige Sax-Riffs rieseln durch die gemeißelten Körper und drehen mit sanftem Schwung diese perfekten Männerärsche (Oh, diese Ärsche....).

Botho goes Breakdance; provokant wendet sich einer der Tänzer dem Publikum zu, theatralisch, greinend. Die Posaune quasselt derweil mit der Tuba, das Schlagzeug hält dagegen und verzieht sich synkopisch in Richtung Jazz, das Saxophon knallt mit einem exaltierten Hendrix-Sound dazwischen, kreischt wie eine elektrifizierte Geige, und der Kontrabass verläuft sich murmelnd in seinen Tiefen.

Die eher gleichförmigen musikalischen Grundthemen des Shibusashirazu -Orchesters sind die Matrix für ein grandioses musikalisches Happening, irgendwo zwischen Rocky Horror, Sun Ra, Jazz und Pop. Eine schrille, laute Gaudi.

Marijke Gerwin

Die nächsten Termine des Oldenburger Kultursommers: 3. und 4. 7. jeweils um 18 Uhr im Schlossgarten: Ulf Georges liest Herman Melvilles „Moby Dick“.

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