Sweet Home Alabama 2

Wenn das Zelt nicht ganz dicht ist: Beim Roskilde-Festival trübte nur der Regen die Laune. Dafür verzauberte Erykah Badu die kleinen Ethnofan-Mädchen, und Punk wurde mit „Poenk“ buchstabiert. Tagebuchaufzeichnungen zweier Korrespondenten

von ANDREAS BECKER
und JENNI ZYLKA

Dänen habe ich’s gezeigt! Rollte in Gedser auf meinem Fahrrad von der Fähre und bin mit vollem Gepäck 25 Kilometer gegen extremen Seitenwind bis Nyköbing gefahren. Bin völlig alle, aber euphorisch. Kein Regen!

Habe unterwegs im Coma-Markt den ersten Literpack Trinkjogurt besorgt. In Nyköbing war um Viertel nach sechs schon tote Hose in der Fußgängerzone. Erst mal Kronen gezogen. Muss unbedingt den 19.26-Uhr-Zug nach Roskilde kriegen, werde sonst die Chemical Brothers verpassen. Für Starsailor und Manu Chao ist es eh zu spät. Auf dem Fußballplatz übt ein Nyköbinger Spielmannszug, in Uniform Lieder zu spielen und gleichzeitig um Ecken zu marschieren. Weiß nicht mehr, warum, aber diese Probe scheint mir Sinnbild für die aktuelle Verfassung Dänemarks. Rase zu den Chemical Brothers – wie gewohnt laut, hart und durchvisualisiert. Überall Leute mit Bierbechern, nur kommt die Plörre nicht mehr von Carlsberg, sondern von Tuborg. Das Tuborg schmeckt nach gar nichts, hat keinen Schaum und zu wenig Alk. Das ist definitiv kein Bier. Habe zum Glück noch Jogurt zum Nachspülen.

Schön, wieder bei den Irren von Roskilde zu sein. Ein Wiedersehensgefühl, als die Frau am Pressecounter meinen Arm greift und das Plastikbändchen für die Kontrollen festmacht. Sie lächelt und gibt mir das Programmheft. Ach, die Wikingerinnen mit ihren blauen Leuchtknöpfen als Augen. Auf der Bühne grummeln dumpf die doofen Rammstein. Dann Black Rebel Motorcycle Club – ganz okay, schön laut. Ja, ja, „what happened to my Rock and Roll“ fragt der Club kritisch. A.B.

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Ich hätte doch Texel 3 kaufen sollen. Alabama 2 nämlich, das mich gerade mehrere Stunden meiner klanglos verrinnenden Zeit auf Gottes nasser Erde gekostet hat, entpuppt sich als olivfarbener Unterrock mit Schlaufen. Und dieses spinngewebedicke Zeltchen soll mir vier Tage lang Schutz gegen Wind, Wetter und knülle Dänen bieten? Vielleicht hätte „Alabama 1“ ja einfach zu einsam geklungen. Schließlich erwarten doppelt so viel männliche wie weibliche Besucher auf dem Festival eine kleine Nummer, das vermeldet die erste Roskilde Daily, die mir beim Zeltaufbau ins Gesicht geflattert kam und dort so lange kleben blieb, bis ich die Meldung gelesen hatte. Das ist als Vorstellung allein schon mathematisch ein wenig befremdlich, aber bis jetzt ist noch alles ruhig im feuchten Pressecamp. Kein wildes Gefeiere im silbernen Großzelt nebenan. Übrigens ein GSG 9, wenn ich mich nicht irre. J.Z.

Freitag

Der Fotograf putzt seinen VW-Bulli, darf im Wagen darum keinen Kaffee kochen. Also Brunch, der nicht schmeckt, für umgerechnet 10 Euro. Und dann die leidige Klofrage! Laufe ganze Tage mit einem Minifläschchen Sebamed und Zahnputzzeugs rum, falls doch mal irgendwo ein Waschbecken sein sollte.

Freue mich auf Slayer. Der Sänger brüllt martialisch, ist aber sehr sympathisch. Direkt über Slayer kämpfen ein Tief und ein Hoch gegeneinander. Ich halte zu Slayer, die es schaffen, so böse zu tun, dass sich die tiefschwarzen Regenwolken vorerst verziehen. Auch Alec Empire, der auf dem Pressegelände noch wie der nette Zeitungsjunge von nebenan aussieht, gibt sich arg Mühe, krachig und gemein rüberzukommen. Was für ein Aufwand! Am Schluss seines Gigs liegt Herr Empire wie tot auf der Bühne. Die überall anwesende Crowd-Security kann ihn nicht retten, die ist für uns zuständig. Und für das Funktionieren ihrer neuen Ampelanlage, mit der der Zugang zum vorderen Bereich vor der Bühne geregelt wird.

Seit den neun Toten vor zwei Jahren herrscht Nervosität. Das Publikum ist zahmer als früher, gerempelt wird kaum noch. Das Tief pirscht sich näher heran, ich radle zum Ballroom, wo das Orchestra Baobab aus dem Senegal spielt. Dann endlich ein Wolkenbruch, die Red Hot Chili Peppers sind nicht jung und hart genug, das Tief hat leichtes Spiel. Das Publikum wird pitschnass. Ich verstecke mich im Ballroom. Um 1 Uhr Pet Shop Boys, die klangen schon frischer. Mein Schlafsack ist feucht, ich verfluche Roskilde und die Zelterei. A.B.

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Die schwedischen „Maggots“ haben heute Mittag definitiv einen kleinen Beau-Bridges-Ähnlichkeitswettbewerb gewonnen: neben den Normannen an Bass und Gitarre haben sie einen mopsigen Shouter in 60er-Beatpunk-Kluft und Rasseln in der Hand, der immer „Oooohhhoooohhhooohhh!“ macht und so reizend tuntig seinen voluminösen Hintern schwenkt, dass es aussieht, als habe Magnums Vermieter Higgins gerade sein Coming-out. Ansonsten brettern sie Garage und holen bei „Cat Fight“ drei Faster-Pussycat-Wuchtbrummen auf die Bühne. Die stellen sich artig um ein Mikrofon herum, aber anstatt etwa „Meaooooow!“ zu singen, besteht ihr Chor aus wildem Kopfstimmen-Gekreische. Vor Lachen fällt mir meine Poelse mit Broed in den Matsch. Schweden, das ist ein Land! Da spielen Faggots bei den Maggots und klingen dabei wie die Fuzztones, die Sonics und die Nomads zusammen. Später machen im selben Set noch mal die schwarz gefärbten (und darum lustig herausgewachsenen) International Noise Conspiracy allen klar, wie man Punk buchstabiert: Poenk.

Nebenan im gelben Zelt will derweil Danko Jones, der bestgekleidetste Hardrockgitarrist und -sänger der Welt, es (genau wie letztes Jahr) mit allen Frauen des Festivals auf einmal machen und streckt uns schon mal prophylaktisch seine Zunge entgegen. Dann mäht er uns gnadenlos mit knochenhartem Sound nieder. Für den bräuchte man bestimmt ein Texel 12. Genau wie für die „Bollywood Brass Band“ aus London, Indien-Filmmusiker in Pumphosen, die zu zehnt in der Fressecke des Geländes auftreten. Zwar spielt nur ein echt aussehender Inder mit, aber obwohl der Rest einen Notting-Hill-Sozialpädagogen-Eindruck macht, ist es lustig, den drei Trommeln und sieben BläserInnen zuzuhören, die die größten Hits aus indischen Erfolgsfilmen tröten und quäken. Solche Bands nerven bei indischen Hochzeiten ab acht Uhr morgens die gesamte Straße. Na und, immerhin ist es keine deutsche Samba-Trommel-Truppe!

Bei den (vor allem nach Alec Empire) müde klingenden Television klatscht nur noch ein harter Kern, ich übrigens auch, Marquee Moon ist schließlich Spitze. Doch was damals charmant war, das tonal schwankende Hin-und Her-Gesinge, die Velvet-Underground-Gitarren, kommt heute wie eine ausgeleierte Alte-Herren-Veranstaltung daher. Ich lass mich lieber in Alabama zuregnen und spiele, unterstützt vom Hauptsponsor Tuborg, „den durstigen Mann“. J.Z.

Samstag

Schon wieder Sonne, ist doch super in Roskilde. Der Fotograf weigert sich, mehr als zwei Löffel Espresso in die Kanne zu tun. Elender Geizhals. In Roskilde-Stadt kaufen die Kids weiter Bierkästen, ein Supermarkt wird wegen Überfüllung gesperrt. Fahre runter zum See, zum Vikingeskibsmuseet. Aus Baumstämmen werden hier alte Kähne nachgebaut. Heute haben sich vier Besucher in Schwimmwesten in ein schweres Holzboot gesetzt und rudern gegen den Wind an. Sie kommen kaum voran, hissen dann einen alten Jutesack als Segel. Muss schnell zu Notwist. Ein Superkonzert, die Bayern improvisieren viel und hauen richtig rein. Dann die simplen 4Lyn und Manowar, absurder Langhaarledertypenblödsinn. Warten auf Aimee Mann und New Order. Erst mal ein Oksensandwich. Bin leider zu müde für Yeah Yeah Yeahs um 2.30 Uhr. A.B.

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Heute hat dann ein wirklich alter Herr sich noch mal aus dem Popgrab erhoben, es war, ich mag’s kaum zugeben, Arthur Lee, der Sänger von „Love“. Er sieht zwar aus wie ein sich zum Sterben bereit machender Navajo, aber wenn man den Hut und die Leoparden-Krempe und die bis zu den Knöcheln enge Hose mal vergisst, klingt er so, dass mir stante pede ein Flower-Power- Minikleid wächst, samt weißer Stiefel. Kann ja sein, dass der Mann die Siebziger mit der Nase tief im Acid verbracht hat, jetzt ist er jedenfalls wieder da und macht mit seiner jungen Band hervorragenden Psychedelic-Sound mit Hippietexten („She comes in colours“) und allem Pipapo, sogar echten Streichern und Bläsern, arrangiert, als ob Sir George Martin persönlich sich an Tom Jones vergreift. Da kam auch gleich Frau Sonne über den Himmel gewackelt. Und brachte mich gut drauf bis zur in Fell und Strohhut und Perücke gehüllten Erykha Badu-Badu-Badu, die vor allem die kleinen Ethnofan- Mädchen verzaubert mit ihrer jazzigen „Dove-Silk“-Bodylotion-Stimme. Als Kontrastprogramm hüpfe ich eine halbe Stunde bei den von der orangen Bühne feuernden Primal Scream und gehe um halb drei nachts noch brav zu den Yeah Yeah Yeahs. Wieder toller Punk, in die Welt geschrien von einer jungen New Yorkerin mit Blondie-Stimme. J.Z.

Sonntag

Nachts wieder Regen, morgens Sonne. Auf dem Gelände die softe 50-Plus-Generation, die Sonntags freien Eintritt hat. Die Atmosphäre ist superlocker. Gummistiefel und Pullover fallen. Hole Kaffee und frisch gebackenen Kuchen. Nur noch tolle Sachen heute: And you will know us by the trail of dead sind Klasse. Und dann auch noch Seeed im Ballroom. Singe laut „Dickes B“ mit, um den Skandis mal zu zeigen, was wahre Kiezliebe ist. Der alte Bartzausel Steve Earle auf der Orangen passt danach nicht so recht in die Stimmung, also rüber zu den White Stripes. Das ist jetzt genau das Richtige. Das Geschwisterduo ist grandios, ich tanze zu jedem Song, sogar zum Bob-Dylan-Cover „Isis“. Dann Garbage, die Kylie M. covern und veräppeln. Beim Schlusskonzert von Roskilde 02 ist Travis-Chef Fran Healy begeistert, dass hier fast 100.000 Leute ein Non-Profit-Festival zusammen feiern: „Überall predigen sie Individualität und Einzelkämpfertum. Hier macht ihr was zusammen, das ist einmalig.“ Healy beschwört den Roskilde-Spirit und ich weiß: Roskilde 2003 bin ich wieder dabei. Werde mir aber ein regendichtes Zelt kaufen. A.B.

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In Sachen Alabama 2 gibt es Neues: Vorhin hat mir eine kleine, dunkelhaarige Dänin ihren Namen („Sila“) mit Edding auf die Hand gemalt und behauptet, damit sei ich jetzt Sektenmitglied in der Sila-Sekte und dürfte, wann immer ich auf andere Mitglieder träfe, sofort mit denen machen, was ich wolle: Reden, Drogen, Sex. Habe aber noch keinE getroffen, Dänen lügen doch nicht?! Dafür hat mich kurz danach irgendjemand auf den Hintern geklapst, und als ich mich umdrehte, hielt ein kleiner, zotteliger Fünf-Promille-Wikinger einen Pingpong-Schläger mit „I love U!“ hoch. Das muss ’ne andere Sekte sein. Ich gucke mir heute jedenfalls nur noch das WM-Finale und Berlins einzige lokalpatriotisch verfechtbare Dancehall-Band Seeed an, um mich auf Deutschland einzustimmen. Hilft ja alles nichts, muss nach dickes B, home an der Spree. Hoffentlich hab ich bis zum nächsten Mal alles vergessen und will wiederkommen … ach nee, geht nicht! Hab ja Tagebuch geschrieben. Mist. J.Z.