Zwischen Devolution und Revolution

Fast gänzlich ohne touristische Bilder: Mit neun schottischen Filmen aus den letzten Jahren geht das Metropolis in diesem Monat einer Regionalisierung nach, die allem Anschein nach auch eine Öffnung dem Zentrum gegenüber bedeutet

von GEORG FELIX HARSCH

Mit dem Begriff „Devolution“ warb New Labour bereits vor dem Regierungswechsel 1997 für ihre Dezentralisierungsbemühungen, die seitdem zur Entstehung eines schottischen Parlaments sowie einer walisischen Versammlung geführt haben. Als Revolution wiederum wurde vielerorts bezeichnet, was sich bereits Mitte der 90er Jahre in der schottischen Filmproduktion abzuzeichnen begann: Mit Danny Boyles Kleine Morde unter Freunden erschien 1995 ein erster international erfolgreicher Film, in Schottland mit schottischem Geld produziert, der gänzlich ohne touristische Bilder auskam.

Eine scheinbar grenzenlose Erweiterung des Repräsentationsspektrums nordbritischer Regionalität war damit erreicht, die zusammen mit den plötzlich relativ üppig fließenden Filmförderungs-Geldern aus der neu gegründeten nationalen Lotterie einen schottischen Filmboom auslöste. Diesen Boom, aber auch seine Vorgeschichte und internationale Konsequenzen will das Metropolis im Juli in einer Reihe mit neun Filmen nachzeichnen. Demonstriert werden kann damit zuerst eines: Die Konzentration auf regionalen Eigenheiten ist hier stets auch eine Annäherung an das Zentrum.

Trainspotting, der erfolgreichste schottische Film aller Zeiten, verhandelt immer wieder mögliche nationale Identitätsentwürfe, nur um sie zu verwerfen. Zugleich liefert der Film genau den überregionalen Britpop-Appeal, dem englische Filme lange hilflos hinterher rannten.

Genau umgekehrt verhält sich die Beziehung zum Zentrum beim zweiten schottischen Schlüsselfilm der 90er Jahre. My Name is Joe, der bisher letzte Höhepunkt in der Werkbiographie des alternden Anorak-Engländers Ken Loach, bewies 1998 ausreichend, dass der traditionelle britische Sozialrealismus weder am Ende noch in Glasgow fehl am Platze ist. „Ich drehe so gerne in Schottland, weil dort fast alle Tony Blair hassen“, erklärte Loach damals seine Motivation für eine Glasgow-Trilogie, deren dritter Teil voraussichtlich nächstes Jahr in Deutschland zu sehen sein wird. Die eckige Liebesgeschichte zwischen dem trockenen Alkoholiker Joe und der Sozialarbeiterin Sarah ist meilenweit weg von den Glücksversprechen der britischen neuen Mitte angesiedelt.

Der Gewinner des internationalen Wettbewerbs beim diesjährigen Hamburger Kurzfilmfestival, Best Man von Becky Brazil, hat noch einmal gezeigt, dass das Lotteriegeld der schottischen Filmförderung vielleicht am sinnvollsten in der Unterstützung von Kurzfilmen angelegt ist. Auch Lynne Ramsay, deren Debüt-Langfilm Ratcatcher einen Höhepunkte der Metropolis-Reihe bildet, war Mitte der 90er Jahre durch ihre Kurzfilme international aufgefallen. Ratcatcher erzählt von einer Kindheit im Glasgow der 70er Jahre und verbindet das Beste aus der Loach‘schen Realismus-Schule mit einem untrüglichen Gespür für wunderschöne Einstellungen sowie einer der dargestellten Kindheit angemessenen Magie.

Ebenfalls ein ehemaliger Kurzfilmer ist Peter Mullan, der seit seiner Hauptrolle in My Name is Joe häufiger als Schauspieler in Erscheinung tritt. Seine Familiengeschichte Orphans von 1998 ist ein weiterer Beleg für die Fruchtbarkeit eines gelockerten Verständnisses von Sozialrealismus, das wohl das größte Potenzial des aktuellen schottischen Filmschaffens bildet. Trotz der vielen Beispiele für eine gelungene, in beide Richtungen offene Regionalisierung im britischen Kino, muss hier niemand auf Schottlands traditionelles Filmkapital, die Locations, verzichten: Karge Landschaften gibt es auch zu sehen. Zuerst in Local Hero mit schrulligen Dorfbewohnern und dann in Rivers and Tides mit dem Landschaftskünstler Andy Goldsworthy.

Local Hero: Do, 21.15 Uhr, Fr + Sa, 17 Uhr; Trainspotting: Sa, So + Do, 11.7., 21.15 Uhr; Kleine Morde unter Freunden: Fr, 12.7., 21.15 Uhr, Sa, 13.7., 17 Uhr, So, 14.7., 21.15 Uhr, Mo, 15.7., 19 Uhr; Rivers and Tides: So, 14.7., 19.15 Uhr + Mo, 15.7., 17 Uhr; Ihre Majestät, Mrs. Brown: Do, 18. + So, 21.7., 19 Uhr, Fr, 19.7., 21.15 Uhr + Mo, 22.7., 17 Uhr; Ratcatcher: Sa, 20. + Mo, 22.7., 19 Uhr, So, 21.7., 21.15 Uhr + Di, 23.7., 17 Uhr; Aberdeen: Mi, 24.7., 21.15 Uhr, Do, 25.7., 17 Uhr + Fr, 26.7., 19 Uhr; Orphans: Do, 25.7., 19 Uhr, Fr, 26.7., 21.15 Uhr, Sa, 27.7., 19.15 Uhr + So, 28.7., 17 Uhr; My Name Is Joe: So, 28.7., 21.15 Uhr, Mo, 29.7., 19.15 Uhr, Di, 30.7., 17 Uhr, Mi, 31.7., 19.15 Uhr, Metropolis