Travelling without moving

Mit unter die Schneekugel treten, sich in andere Welten träumen – und sich wieder in den Regenalltag zurückbeamen: All dies befördert das Audiotheaterstück „world in a box“ beim diesjährigen Festival „Die Wüste lebt!“

Sich an den Strand legen, sich wegträumen und wegdenken vom Ort des Alltags, hinaus in die Welt, die in einem steckt, im körpereigenen Kopf flimmert und durch gelgentliches Schütteln aufgewirbelt wird wie das Innere einer Schneekugel. Oder einfach: Kopfhörer auf, Musik an. Laut.

Das Gehör wird in Bernhard Herbordts und Melanie Mohrens „Audiotheater für zwei Zuhörer-Performer“ namens world in a box systematisch und hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt. Zu zweit betreten die Theaterbesucher einen der handelsüblichen Schiffscontainer, der neben dem Amerikahaus, wo das Stück im Rahmen des „Die Wüste lebt“-Festivals stattfindet, aufgestellt wurde. Sie nehmen an den Kopfenden eines schlichten, langen Holztisches Platz, setzen die Kopfhörer auf und „tragen die volle Verantwortung für die nächsten 25 Minuten“, wie eine Erklärung am Eingang drohend zu verstehen gibt.

Aus der Dunkelheit erwächst allmählich der Text. Leise umweben flüsternde Stimmen und behutsame Musik den Zuhörer. Aus Dialogen, Filmsequenzen, Musikstücken und Handlungsanweisungen haben Herbordt und Mohren eine akustische Bilderreise komponiert. Von einer Piazza in Florenz, einem kanadischen Gerichtshof ins Schwimmbad oder ins Restaurant in Peking geht die Reise.

Nach Belieben bleiben die Gedanken hängen oder schwingen im leeren Innenraum des Containers weiter, ohne dass der Text einen vergessen ließe, das man sich an einem künstlichen Theaterort befindet: „Ich könnte den Container verlassen. Vielleicht würde ich auf einer Dorfstraße in Peru stehen“, denkt man. Aber was mag das Gegenüber denken, wenn der andere plötzlich den Stuhl zurückschiebt, ihn mit einer Taschenlampe anblinkt oder unter den Tisch kriecht?

„Ignorieren Sie seine Irritation!“ lautet dazu die Anweisung der Kopfhörerstimme. Denn recht schnell wird jedem Besucher klar, dass nicht beide demselben Text lauschen. Während der eine die Welt in der Schublade entdeckt, erfährt der andere, was sich unter dem Tisch befindet. Dieser kommunikative „Selbstraum/Selbsttraum“ ist die einzige Möglichkeit für die zwei Zuschauerprotagonisten, dem vorprogrammierten, akustischen Theaterspiel Spannung und Spaß einzuhauchen. world in a box ist ein Stück ohne Schauspieler.

Allein das Ich und das Gegenüber sind die Hauptakteure in diesem „Audiotheater“, das das junge Regie-Duovom Institut für Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen nicht als „Hörspiel“ missverstanden wissen möchte. Für sie liegt world in a box nach dem im Herbst 2001 mit dem NRW-Hörspielpreis prämierten Stück looking for a small story auf dem Weg „zurück“ zur Theaterbühne, wohin sie ihre Lust, wieder mit Schauspielern zu arbeiten, zieht.

Und egal, ob das Stück eine Flucht in die Fiktion oder eine Reise in die Imagination ist – world in a box markiert eine erholsame, sorgfältig programmierte Atempause vom Straßenlärm-Alltag. Die Containertüren öffnen sich anschließend in den Abendhimmel, und die Schneekugel steht säuberlich wieder auf dem Fernseher. Zuletzt noch den Sand aus den Haaren kämmen, die Hosentaschen umstülpen. Zurück im real verregneten Hamburg, entlassen mit den Worten: „Gut, dass Sie geblieben sind.“ Am Ende der Reise.

Christian T. Schön

noch heute bis Sonnabend, ab 18 Uhr im Halbstunden-Takt, Kammerspiele im Amerikahaus, Tesdorpfstraße 1