Kleiner Hafen der Hoffnung

Wer an der Rezeption steht, hat meist Unsägliches erlebt. Vor zehn Jahren wurde in Charlottenburg das Behandlungszentrum für Folteropfer gegründet. Heute ist die Einrichtung bundesweit anerkannt

von HEIKE KLEFFNER

Das Pappmachéboot steht kieloben in der hintersten Ecke des langen Flurs. Doch die Botschaft auf dem weißen Bug ist nicht zu übersehen: „Die Fahrt zur Hoffnung“ steht da auf Deutsch in dicken, schwarzen Großbuchstaben. Die sieben Sitzbänke im Bootsinnern sind dagegen bunt bemalt. Jede von ihnen trägt eine persönliche Nachricht in türkischen, arabischen, bosnischen oder persischen Schriftzeichen. Auf der ersten Sitzbank steht zum Beispiel der türkische Satz „Entweder Freiheit oder Freiheit“. Auch sonst erinnert in Haus 14 im Klinikum Westend nur wenig an ein Krankenhaus. Kinder spielen hier im 3. Stock, in einem gelben Schrank warten Altkleider auf neue Träger. Hinter einer der Türen mit der Aufschrift „Behandlungszimmer“ verbergen sich Holzregale mit Pinseln, Wachsmalstiften und Fingerfarben, hinter einer anderen drängen sich Instrumente.

In sieben Sprachen wird zur Rezeption gewiesen. Wer den Weg hierher gefunden hat, hat nicht nur Unvorstellbares, sondern manchmal auch eine lange Wartezeit hinter sich. 475 Menschen konnten im vergangenen Jahr im Zentrum für Folteropfer behandelt werden. Die meisten kommen aus der Türkei und aus Bosnien-Herzegowina, aber auch Stasi-Opfer sind unter denen, die das Angebot von Gesprächs-, Mal- und Musiktherapien wahrnehmen. 150 Personen stehen derzeit auf der Warteliste. „Zum Teil schon seit eineinhalb Jahren“, sagt Britta Jenkins, „das ist eine unserer größten Sorgen.“

111 Länder hat amnesty international letztes Jahr weltweit gezählt und zehntausende Fälle, in denen gefoltert wurde. Im Zentrum für Folteropfer werden die abstrakten Zahlen seit zehn Jahren zur Realität. Jenkins erinnert sich an die Anfänge: „Im Mai 1992 begann der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Wir wurden quasi über Nacht durch die Flüchtlinge damit konfrontiert, dass vor unserer eigenen Haustür Unsägliches passierte.“ Sie habe, sagt die Öffentlichkeitsbeauftragte nüchtern, „am Anfang tatsächlich geglaubt, dass Folter abgeschafft werden kann. Diesen Glauben habe ich verloren.“

In anderen Bereichen kann das Behandlungszentrum dagegen durchaus Erfolge vermelden. Aus dem Projekt mit anfänglich vier Hauptamtlichen ist eine bundesweit anerkannte Einrichtung geworden mitsamt einer eigenen Stiftung namens „Überleben“. Das Team ist auf 26 Mitarbeiter angewachsen, das Haushaltsvolumen liegt bei 1,3 Millionen Euro, „wobei im Gegensatz zum Anfang inzwischen die Hälfte von privaten Spendern und Stiftungen aufgebracht wird“, so Britta Jenkins. Gleich geblieben seien dagegen die „ständigen Auseinandersetzungen auf der politischen Ebene“. Stichworte fallen: Asylbewerberleistungsgesetz, Bleiberecht für traumatisierte bosnische Flüchtlinge, De-facto-Arbeitsverbot für Asylsuchende. Folter werde trotz aller Bemühungen noch immer nicht ausreichend als Asylgrund anerkannt, fügt die Sozialpädagogin Claudia Kruse hinzu.

Und mit den Behörden gebe es „immer wieder einen Kampf um die Glaubwürdigkeit des Betroffenen“. Das Zentrum ist zwar stolz, dass dort noch keines seiner Gutachten in Zweifel gezogen werden konnte. „Aber erleben zu müssen, wie eine 14-jährige Kurdin in heftigste Depressionen fällt, weil ihrer Foltererfahrung bei der Asylanhörung nicht geglaubt wird“, das mache wütend, sagt Kruse. Britta Jenkins hofft, dass sich zumindest ein Traum erfüllen lässt: „Das Bleiberecht für Traumatisierte. Denn neunzig Prozent unserer Patienten haben keinen gesicherten Aufenthaltsstatus.“