Vertreibung geht alle an

Rot-Grün bevorzugt ein europäisches Projekt, aber Vertriebenen-Chefin Erika Steinbach besteht auf eine gesonderte Würdigung der deutschen Opfer

von OLIVER HINZ

Was der deutsche Bundestag heute beschließt, interessiert die Politiker in Warschau und Prag sehr. „Die Kanzlei des Staatspräsidenten und das Büro des Außenministers haben uns angemahnt, die Entscheidung sofort nach Prag zu melden“, sagt der Erste Sekretär der tschechischen Botschaft in Berlin, Zdenek Aulicky. Es geht um die Frage: Wird das angestrebte „Zentrum gegen Vertreibungen“ ein nationales oder ein europäisches Projekt?

Die Abgeordneten stimmen über drei Anträge ab. Im ersten setzt die CDU/CSU-Fraktion auf ein nationales Konzept für eine „zentrale Informations- und Begegnungsstätte“, in der „die Gesamtthematik der Vertreibungen aufgearbeitet und dokumentiert wird“. Die Union unterstützt die Initiative des Bundes der Vertriebenen für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ und preist deren dafür gegründete Stiftung, weil sie „Wege zur Völkerverständigung und Versöhnung aufzeigt“. Die Bundesregierung solle in Berlin ein Gebäude als „Ort der Forschung, Dokumentation und Ausstellung“ vorschlagen.

Auf der anderen Seite steht die Mehrheit von SPD und Grünen. „Wichtig ist mir, dass das Projekt europäisch ist“, betont der SPD-Abgeordnete Markus Meckel. Deshalb kommt der Koalitionsantrag einer Einladung an alle europäischen Ländern gleich, einen Dialog über die Errichtung eines europäischen Zentrums gegen Vertreibungen zu beginnen. Meckel will, dass sich spätestens Ende des Jahres eine (europäische) Kommission bildet, die das Konzept für die Einrichtung erarbeitet. Auch über Ort und Träger des Zentrums sollte zuerst die Kommission beraten.

Zunächst hatte die Regierung die Idee des Bundes der Vertriebenen (BdV) noch abgelehnt. Mit dem „Basta“ des Bundeskanzlers 1999 beim „Tag der Heimat“ schien die Sache für Jahre erledigt. Der Sinneswandel kam mit dem Wechsel der Kulturstaatsminister im Kanzleramt, von Michael Naumann zu Julian Nida-Rümelin. Die Vertriebenen-Präsidentin und CDU-Abgeordnete Erika Steinbach klagt nun nur noch in der Vergangenheitsform über „Häme, Herablassung, Arroganz oder das mitleidlose Desinteresse“ der Linken an den „Opfern“. Die PDS-Abgeordnete Ulla Jelpke schimpft bereits: „SPD und Grüne biedern sich zielstrebig der völkischen Klientel an.“ Die Sozialisten sperren sich als einzige Fraktion gegen ein Vertriebenenzentrum. Der dritte Antrag, jener der FDP, ist näher bei Rot-Grün als bei der Union.

Steinbach besteht darauf, dass in dem Zentrum eine Rotunde nur den deutschen Opfern gewidmet wird: „Das ist ganz verständlich und berechtigt, dass jedes Volk seinen eigenen Opfern die Ehre erweist.“ 80 Millionen Euro will der BdV für das Zentrum, das 11.000 Quadratmeter groß sein soll, sammeln und schrieb dazu im Frühjahr 2001 alle deutschen Kommunen an.

Im September 2000 gründete der Vertriebenenverband eine Stiftung für das Zentrum. Als gleichberechtigten Vorsitzenden gewann Steinbach den ehemaligen SPD-Geschäftsführer und jetzigen Medienprofessor in St. Gallen, Peter Glotz. Vor eineinhalb Monaten kam dann ein 14-köpfiger „Wissenschaftlicher Beirat beim Zentrum gegen Vertreibungen“ hinzu. In ihm sitzen der Historiker Arnulf Baring, ZDF-Geschichtsexperte Guido Knopp, der Bundeswehrprofessor und Israelexperte Michael Wolfsohn und Alfred-Maurice de Zayas vom UNO-Menschenrechtsausschuss in Genf.

CDU und CSU nahmen Steinbachs Forderung sogar in ihr Wahlprogramm auf: „Mit einem „Zentrum gegen Vertreibung“ in Berlin wollen wir ein Zeichen setzen, um an das Unrecht der Vertreibung zu erinnern und es für immer zu ächten.“ Die unionsregierten Bundesländer haben bereits erklärt, dass sie die Einrichtung mitfinanzieren werden.

Literaturnobelpreisträger Günter Grass liebäugelt wie Meckel mit Breslau als Standort. „Ob Deutschland nun der richtige Ort ist, da habe ich meine Zweifel. Denn ich kenne die Initiative von Frau Steinbach, und Frau Steinbach ist nach wie vor, auch in ihren Äußerungen, von Ressentiment gezeichnet.“ Ein solches Zentrum habe nur Sinn, wenn die falschen Zungenschläge der Vergangenheit vermieden würden.

„In Tschechien gibt es keine Sympathien für den Antrag von CDU und CSU“, sagt Botschaftssprecher Aulicky. „Das Zentrum darf nicht zum Pendant des Holocaust-Mahnmals werden.“