zwischen den rillen: Aufgerumpelt: Oasis streben zu neuer Glorie
Der zweite Platz
Als die Gallagher-Brüder Anfang des Jahres in der britischen Presse davon sprachen, das mindestens zweitbeste Oasis-Album aller Zeiten fertig gestellt zu haben, klang das zuerst wie der gewohnte Größenwahn. Beim zweiten Lesen aber kam das Stirnrunzeln: das mindestens zweitbeste Oasis-Album? Nicht das mindestens zweitbeste Rock-Album aller Zeiten? Woher diese Bescheidenheit? Waren sie herabgestiegen von den Schultern der Giganten? Wollten sie nicht ewig die Größten sein? Hatten sie zu wenig Drogen genommen?
Alles Fragen, die sich auch jetzt nicht beantworten lassen, wenn man sich durch den Wust von lustigen, weniger lustigen und schlicht schwachsinnigen Aussagen liest, die Noel und Liam Gallagher dieser Tage nun auch deutschen Medien gegenüber abgesondert haben: Die Sonne ist rund und Schallplatten auch, das Leben ist schön und dann wieder nicht so, wir sind was Besonderes und trotzdem schreiben Musiker über 30 keine großen Songs mehr. Ja, auch Realismus kann ein warmes Gewehr sein.
Wichtig aber ist auf dem Platz, um im schiefen Bild zu bleiben, und dort haben Oasis es immerhin geschafft, mit „Heathen Chemistry“ ihr fünftes reguläres Album in fast zehn Jahren zu veröffentlichen. Wonach es lange Zeit nicht aussah. Oasis bekamen Prügel für „Be Here Now“, den Nachfolger ihres Welterfolgs „(What The Story) Morning Glory?“, und für „Standing On The Shoulders Of Giants“, beides Alben ohne Spannkraft und mit haufenweise öden, nicht enden wollenden Rocksongs. Umgekehrt prügelten sich die Brüder mit Fotografen, Hotelmanagern und Sitzgelegenheiten, mit ihren Frauen, Kollegen und natürlich mit sich selbst. Es gab Oasis, es gab Oasis nicht, es gab Oasis mit Liam, es gab Oasis mit Noel, aber ohne Liam und so weiter. Erst als die Mutter der beiden ein Machtwort sprach: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, an die Arbeit!, machten Noel und Liam sich daran, Songs für ein neues Oasis-Album zu schreiben.
„Heathen Chemistry“ ist nun das Oasis-Album, auf das die Welt als Letztes gewartet hat; ein Album, dessen Erscheinen die Fans und ehemaligen Fans von Oasis in Angst und Schrecken versetzt hat. Denn niemand schaut seinem Liebling gern beim allmählichen Verfall zu; niemand möchte wirklich einer Band zuhören, die glaubt, genial zu sein, aber es nicht mal in Ansätzen ist; ja, die sogar noch versucht, ihr Handwerk zu beherrschen (Pubrock!) und so ihren einzigen Pluspunkt (Dilettantismus!) ausradiert. Das ist kein Scheitern in Würde, sondern einfach nur traurig.
Tatsächlich aber ist „Heathen Chemistry“ ein sehr manierliches Album geworden. Es erinnert an die Rumpelmusiker, die sich in neuer Bescheidenheit und weil keiner was von ihnen erwartet hat, als „The Mannschaft“ aus dem Sumpf gezogen haben. Als alte Fußballfans hätten Oasis nichts gegen diesen Vergleich. Deswegen die elf Songs in der Einzelkritik: 1. „Hindu Times“: stumpfer Stampfrocker, aber knackig und nicht länger als vier Minuten. 2. „Force Of Nature“: stumpfer Stampfrocker, ebenfalls knackig und mit richtiger Länge. 3. „Hung In A Bad Place“: siehe 1 und 2. 4. „Stop Crying Your Heart Out“: Tiefpunkt des Albums. Ballade auf der Suche nach der Magie von „Wonderwall“. Die aber ist weg, da helfen keine Keyboard-Tupfer, keine weinerlichen Refrains. Ist aber Hit-Single und kam beim ZDF zum Einsatz beim Empfang der deutschen Fußballer und speziell Oliver Kahn: „Hold on, hold on, don’t be scared“. 5. „Songbird“: hingetupft, leicht, mit der Magie von „The Masterplan“-Songs, der B-Seiten-Compilation und zweitbesten Oasis-Platte aller Zeiten. Vielleicht der Höhepunkt des Albums. 6. „Little By Little“: ein knorker, nöliger Rocker mit dem Hang zum Ruhigen, Tragischen. Wächst und wächst. 7. „A Quick Peep“: überflüssiges, aber frisches, psychedelisches Instrumental. Beitrag von einem der drei Nicht-Gallaghers der Band. 8. „(Probably) All In The Mind“: Totalausfall. 9. „She is Love“: schönes Liebeslied mit der Qualität von „Masterplan“-Songs, fröhlich der runden Sonne entgegen. Siehe 5. 10. „Born In A Different Cloud“: siehe 9, siehe Beatles, zieht sich, muss aber auch. 11.: „Better Man“: überflüssig.
Was soll man noch sagen? Oasis haben wieder ein richtig schönes Oasis-Album gemacht. Es hat tatsächlich gute Chancen, in die Oasis-Geschichte einzugehen als das zweitbeste Oasis-Album aller Zeiten.
GERRIT BARTELS
Oasis: „Heathen Chemistry“ (Sony)
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