piwik no script img

Ordnungshüter mit Ecken und Kanten

Dschibril Radschub bleibt Chef des palästinensischen Sicherheitsdienstes – trotz angedrohter Entlassung durch Arafat

Schlicht als „Lügen“ tat Dschibril Radschub die in israelischen Medien verbreiteten Berichte darüber ab, Palästinenserchef Jassir Arafat habe ihm gekündigt. Er werde seinen Posten als Chef des palästinensischen Sicherheitsdienstes nicht verlassen. Seine Männer stehen offenbar hinter ihm. Sämtliche höheren Offiziere der machtvollen Sicherheitstruppe versammelten sich am Mittwochabend in Radschubs Privathaus: Sie nähmen Befehle von niemand anderem als ihm entgegen, versicherten sie.

Er galt als „Arafats Mann fürs Grobe“, als er 1994 nach Jericho kam, um dort als Chef des Geheimdienstes in den autonomen Gebieten des Westjordanlands für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Zu diesem Zeitpunkt lagen drei Jahre Exil hinter ihm, die er zum Großteil in der PLO-Führung in Tunis verbrachte, und 17 Jahre in einem israelischen Gefängnis.

Als 15-Jähriger hatte Dschibril Radschub eine Handgranate auf israelische Zivilisten geworfen. Die gegen ihn verhängte lebenslange Haftstrafe endete nach einem Gefangenenaustausch. Arafat schickte Radschub anschließend als „Personalchef“ ins Orienthaus, wo er bis zu seinem Landesverweis den Kampf gegen die Besatzung fortsetzte. „Seitdem ich hier bin, ist noch keine einzige Kugel abgegeben worden“, meinte Radschub ein Jahr nach seinem Amtsantritt in Jericho über seine neue Aufgabe.

Ganz ohne Brüche gelang ihm der schroffe Wechsel vom Widerstandskämpfer zum Ordnungshüter indes nicht. Die Männer Radschubs bedienten sich derselben Methoden, wie sie einst die israelische Polizei gegen ihn angewandt habe, schimpften seine Gegner damals. In den palästinensischen Gefängnissen hatte es mehrere Todesfälle gegeben.

Die Israelis hingegen lobten seine Erfolge, nicht nur mit Blick auf seine massiv vorangetriebene Konfiszierung illegaler Waffen. Wo immer ein Auto gestohlen worden war – Radschub wusste, wo es zu finden war. Seit seiner Rückkehr ins Palästinensergebiet gilt der zunehmend gefürchtete, aber noch beliebte Radschub als potenzieller Nachfolger für Arafat. „Ich mag die Israelis nicht“, sagt er mit tiefer Stimme in fließendem Hebräisch.

Diese Abneigung ist ganz und gar nicht gegenseitig. Würden die Israelis über eine Ablösung Arafats entscheiden, hätte der Pragmatiker Radschub – gleich nach Sari Nusseibah, Arafats Mann im Orienthaus – wohl die besten Chancen. Der eher barsche Palästinenser unterhält bis heute gute Kontakte zum israelischen und amerikanischen Nachrichtendienst. Die mit ihm bei Kooperationsverhandlungen des Sicherheitsdienstes getroffenen Absprachen gelten als verlässlich.

Schon lange bevor Israel und die USA nach Reformen innerhalb der palästinensischen Autonomiebehörde riefen, drängte Radschub seinen Chef zu einem Ende der Gewalt und einer Demokratisierung der Autonomiebehörde. Der Zwist zwischen Arafat und seinem inzwischen ungeliebten Kind ging Ende letzten Jahres so weit, dass der Palästinenserchef während einer Konferenz mit seinen Beratern gar die Pistole auf Radschub richtete. Radschub blieb Arafat gegenüber loyal, dennoch ist das Verhältnis zwischen den beiden seither belastet. Die angedrohte Entlassung, so analysiert Dani Rubinstein von der Tageszeitung Ha’aretz, sei ein Test gewesen, wie weit Arafats Macht noch reiche. SUSANNE KNAUL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen