Zeugin des Bürgerkriegs

Durch die Kleinstadt Belchite im Norden Spaniens zog mehrfach der Bürgerkrieg. Danach ließ sie Franco zur Abschreckung in zerstörtem Zustand erhalten. Heute ist sie Mahnmal für den Frieden

In der Sankt-Augustin-Kirche steckt eine Granate, die nie entschärft wurde

von ROSA MARÍA ORTEGA SÁNCHEZ

Belchite. Der Name des Städtchens nahe der nordspanischen Stadt Saragossa, in Aragón, steht für Zerstörung und für Neuanfang. Aber auch für das Nicht- vergessen-Wollen eines Ereignisses, das die spanische Geschichte geprägt hat wie wenige andere: des Bürgerkriegs 1936 bis 1939. Die Ruinen Belchites zeugen von diesem Krieg, als wären noch gestern Granaten gefallen und Schüsse abgegeben worden.

Mühsam auf einen Stock gestützt, geht Josefina Cubel Álvarez Schritt für Schritt über den steinigen, unebenen Weg, der einst die Hauptstraße von Belchite gewesen ist. Damals, als noch Krieg war, wäre man bei diesem Tempo bereits nach einem Meter von Kugeln durchlöchert worden. Mit den Fingern der linken Hand deutet die 75-jährige Frau auf zerfallene Mauern, hinter denen sich die MG-Schützen verschanzt hatten. Sie zeigt auf Fenster ohne Glas, durch die Handgranaten geworfen wurden, und auf die Plätze, Gassen und Häuser, in denen tausendfach gestorben wurde.

Als am 17. Juli 1936 spanische Generäle, darunter General Francisco Franco, von Marokko aus gegen die demokratisch gewählte Regierung putschten und damit den Bürgerkrieg auslösten, fiel Belchite in die nationalistische Zone. Aus dem damaligen 3.812-Seelen-Ort wurden Republikaner aller Couleur vertrieben, erschossen oder eingekerkert. Die, die geblieben waren, mussten sich mit der neuen Ordnung arrangieren, und etliche taten dies aus voller Überzeugung. So verlief das Leben im Dorf relativ ruhig. Die geografische Nähe zu Saragossa und zur Front sorgte jedoch dafür, dass Belchite als Kriegsschauplatz eine wichtige Bedeutung gewann.

Die so genannte Aragón-Offensive begann am 24. August. 80.000 republikanische Soldaten versuchten, die strategisch wichtige Straße von Saragossa nach Teruel zu kontrollieren und Saragossa einzunehmen. Das misslang gründlich. Am Ende konnten einzig Belchite und der Nachbarort Codo erobert werden. Wie diese Eroberung aussah, davon wissen die Zeitzeugen Josefina Cubel Álvarez und Jesús Góriz Alotas zu berichten: „Wir haben uns in unseren Häusern verschanzt, denn auf die Straße konnte man nicht gehen, ohne erschossen zu werden. Also haben wir von innen die Wände durchbrochen, um geschützt von Haus zu Haus schleichen zu können. Sie haben uns Licht und Wasser abgedreht und draußen fielen unentwegt Schüsse. Es war schrecklich heiß. Wir haben um jedes Haus gekämpft, doch die Roten drangen immer weiter vor. Auch unser Bürgermeister ist dabei umgekommen, aber nicht, weil er von den Republikanern getroffen wurde, sondern weil sein Gewehr nach hinten losging.“

Nach 12 Tagen, am 6. September 1937, fiel Belchite in republikanische Hand. Flucht, Tod oder Gefängnis – diesmal für die Anhänger der Nationalisten. Josefina flüchtete trotz eines Beinschusses zu Fuß nach Saragossa, die einst vertriebenen Republikaner dagegen kamen in die zerbombte, aber noch lebensfähige Stadt zurück. Doch die Waffen ruhten nicht lange in Belchite. Francos Gegenoffensive in Aragón begann ein halbes Jahr später am 9. März 1938. Unterstützt von 400 Jagdbombern der deutschen Legion Condor und der italienischen Legionara, kämpften Francos Truppen mit Übermacht gegen die republikanischen Milizen. Am 10. März 1938 wurde Belchite von den Nationalisten zurückerobert. Abermals: Tod, Flucht oder Gefängnis für die Republikaner. Josefina kam wieder zu Fuß nach Belchite zurück. In Belchite waren die bewaffneten Auseinandersetzungen nun vorbei.

In den folgenden Monaten fielen Bomben auf Alicante und Valencia, den Sitz der legalen republikanischen Regierung, der zur Sicherheit von Madrid dorthin verlegt worden war. Als am 28. März 1939 die Schlacht um Madrid von den Nationalisten gewonnen wird, sind die Würfel längst gefallen. Franco hat gesiegt. Nicht zuletzt dank der Unterstützung der deutschen und italienischen Bomberstaffeln. Am 1. April 1939 verkündet Franco das Ende des Krieges.

In Belchite kehrt jedoch kein typischer Nachkriegsalltag ein. Statt das Dorf wiederaufzubauen, lässt man die Ruinen stehen – als franquistische Mahnung an die Gräueltaten der Republikaner. Ein neues Dorf wird dafür gebaut, gleich neben der Skelettstadt. Doch solange die neuen Häuser nicht fertig sind, muss in den Trümmern gelebt werden. Was die Bomben nicht zerstört haben, wird zusammengetragen und für provisorische Behausungen verwendet.

Auf die Straße konnte man nicht gehen – aus Angst, sofort erschossen zu werden

Noch heute findet man beim Spaziergang durch Belchite hier und da Patronenhülsen. In der Sankt-Augustinus-Kirche steckt eine Granate, die bisher weder explodiert noch entschärft worden ist. Josefina deutet auf das Haus Nummer 91 an der Hauptstraße: „Hier haben wir gewohnt.“ Über holprige Steine stolpern wir durch das, was von Belchite geblieben ist. Am Monument für die Gefallenen des Krieges sang früher die Franco-Partei Falange mit zum faschistischen Gruß erhobenem Arm ihre Hymne „Cara al Sol“ (Gesicht zur Sonne). In der Kirche mit dem Uhrenturm konnte man damals für zweieinhalb Peseten Eintritt ein Theaterstück ansehen oder tanzen. Im ehemaligen Krankenhaus wurden während des Krieges die Leichen gesammelt.

Josefina und der 85-jährige Jesús erinnern sich an alles, als ob es gestern gewesen wäre; und dennoch erzählen sie die Ereignisse, als ob sie nicht selbst mittendrin gestanden hätten. Francos unbarmherzige Verfolgung der Verlierer scheint ihnen den Zorn genommen zu haben. Die Aussöhnung zwischen linken und rechten Nachbarn, so Bürgermeister Domingo Serrano, sei vollzogen.

Ob es denn nicht schmerzhaft sei, ständig mit der Vergangenheit konfrontiert zu werden, und ob es denn nicht besser sei, die Ruinen wegzuschaffen? Alle drei sind sich einig: Nein. Belchite muss erhalten bleiben – „als Mahnmal für den Frieden“, so der 52-jährige Bürgermeister.

Doch das ist gar nicht einfach. Der Zahn der Zeit nagt deutlich an Mauern und Straßen. Das, was von den Gebäuden noch übrig ist, befindet sich in einem bedrohlichen Zustand. Jede Windbö stellt für die Häuserreste eine Einsturzgefahr dar. 1985 wurde mit Geldern des staatlichen Arbeitsamts und zwanzig Jugendlichen Schutt abgefahren, die Mauern wurden notdürftig gesichert. Die Arbeiten konnten jedoch nicht vollendet werden, und der Zustand der Trümmerstadt wird von Jahr zu Jahr schlechter. Bei der Unesco läuft ein Antrag, die Ruinen als Kulturgut der Menschheit zu deklarieren. Außerdem setzt sich Bürgermeister Serrano dafür ein, dass die Ruinenstadt von der Unesco den Titel „Mahnmal für den Frieden“ erhält. „Damit die jungen Generationen sehen, was ein Krieg anrichtet. Und weil wir dann sicherlich Zugang zu mehr Geldern bekommen, um die Stadt vor dem völligen Einsturz zu bewahren.“