Ein Ikonenmaler als Topterrorist

Die griechische Polizei findet Waffenlager und Dokumente der Gruppe „17. November“, nachdem eines ihrer Mitglieder beim Bombenbasteln verletzt wurde. Seit 1975 hat sie angeblich 23 Menschen ermordet und Dutzende weitere Anschläge verübt

von NIELS KADRITZKE

Griechenlands Topterrorist verdiente sein Geld mit Ikonenmalen. Der 40-jährige Savas Xiros, der sich vor neun Tagen beim Basteln einer Bombe schwer verletzt hat, ist das erste Mitglied der „Revolutionären Organisation 17. November“, das der griechischen Polizei in die Hände gefallen ist. Xiros liegt schwer verletzt im Krankenhaus und konnte noch nicht vernommen werden. Doch der Revolver, den man neben ihm in seiner Wohnung in Piräus fand, ist identisch mit der Waffe, die von der „RO 17. November“ 1984 bei einem Banküberfall und 1989 sowie 1997 bei Mordanschlägen benutzt wurde.

Am Samstag wurden im Athener Zentrum zwei klandestine Wohnung aufgespürt, die ein Waffenlager und ganze Kisten von Dokumenten beherbergen, von revolutionären Emblemen und „17. November“-Stempeln bis zu vollständigen Diskussionsprotokollen. Damit hat die Polizei eher zufällig einen roten Faden in die Hand bekommen, der es ihr erlauben wird, den mysteriösen Fall „RO 17. November“ zügig aufzurollen.

Die terroristische Gruppe ist seit 1975 aktiv und hat der griechischen Polizei und der internationalen Öffentlichkeit über 27 Jahre lang Rätsel aufgegeben (siehe Kasten). Spätestens seit Stephen Saunders, britischer Militärattaché in Athen, am 8. Juni 2000 auf offener Straße von zwei vermummten Motorradfahrern erschossen wurde, hat die Zerschlagung der Organisation für die griechische Regierung höchste Priorität. US-amerikanische Geheimdienstkreise drohen seit langem, die Athener Olympischen Spiele im Jahr 2004 zu boykottieren, sollte der „17. November“ nicht bis Sommer 2003 zerschlagen sein.

Seit dem Fall Saunders arbeitet die griechische Polizei noch enger mit dem US-amerikanischen FBI und dem britischen Scotland Yard zusammen. Doch die seitdem zirkulierenden Gerüchte, im Kampf gegen den innergriechischen Terrorismus stehe ein Durchbruch unmittelbar bevor, haben sich immer wieder als verfrüht erwiesen.

Der jetzt erfolgte Durchbruch ist offenbar dem Zufall und dem handwerklichen Fehler von Xiros zu verdanken. Ministerpräsident Simitis ließ zwar verlauten, man habe die Gruppe durch „harte systematische Arbeit“ unter Druck gesetzt. Aber die aus Polizeikreisen lancierte These, dies habe die Terroristen zu Fehlern „gezwungen“, ist vorerst bloße Behauptung. Und schon jetzt ist klar, dass für die Lösung des Rätsels „17. November“ der archivbesessene Furor der Stadtguerillas viel entscheidender sein wird als 25 Jahre polizeilicher Ermittlungstätigkeit.

Für die Athener Regierung geht gleichwohl eine lange Leidenszeit zu Ende. Ausländische Kritiker hatten häufig behauptet, die griechischen Behörden seien gar nicht daran interessiert, die Gruppe „17. November“ zu zerschlagen: Führende Mitglieder der heutigen Regierungspartei Pasok hätten Angst, dass Verbindungen zwischen ihrer früheren Widerstandstätigkeit und den Stadtguerilleros aufgedeckt würden. Heute weist vieles darauf hin, dass der „17. November“ ein isolierter terroristischer Zirkel war. Und der „prominente Kopf“, der als heimliches Haupt der Gruppe seit Jahren durch die Zeitungen geistert, vielleicht nur ein verwirrter Ikonenmaler.