Auf der langen Welle

Heavy Rotation: Neben den beiden Galerien Klosterfelde und Barbara Wien haben sich auch das Arsenal-Kino und die Kunst-Werke auf einen Präsentations-Marathon des kanadischen Sound- und Filmkünstlers Michael Snow eingelassen

Der Ruhm des jetzt 71-jährigen Michael Snow hängt in Deutschland immer noch an „Wavelength“. Der vor 35 Jahren gedrehte Film bestand aus einer 45 Minuten langen Zoombewegung durch sein Atelier, die auf das Foto einer Meeransicht gerichtet war. Snows „ästhetisch radikaler“ Umgang mit Phänomenen der Dauer und filmischer Materialität konnte sich selbst ein Holger Meins (während des 67er-Filmfestivals in Knokke) nicht entziehen, der sonst nur an den gesellschaftlichen Sinn des Agitations- und Lehrfilms glaubte.

Die folgenden Filme waren nicht weniger fordernd. In „La région centrale“ von 1970 spielte er in einer Berglandschaft alle Kombinationen von Rotationsbewegungen um die drei Raumachsen durch und nahm sich dafür 180 Minuten Zeit. „Rameau's Nephew by Diderot (Thanx to Dennis Young) by Wilma Schoen“ brauchte drei Jahre später dann bereits 260 Minuten.

Snow hatte seine künstlerische Laufbahn als Jazzmusiker begonnen. Der Umzug nach New York verstärkte sein Interesse an bildender Kunst, bald konzentrierte er sich auf Filmarbeiten. Für „New York Eye and Ear Control“ gelang es ihm, Marcel Duchamp zu einem kurzen Auftritt zu bewegen. Als „artiste interdisciplinaire“ und in vielen Medien tätiges Multitalent hatte man Snow in Deutschland aber nie wahrgenommen. Auch eine Ausstellung im Münchener Lenbachhaus 1979 änderte daran nicht viel – bis heute gilt Snow eher als experimenteller Filmer. Auf der diesjährigen Berlinale wurde nach einer langen Pause erstmals wieder eine Arbeit von ihm gezeigt: „Corpus Callosum“, in der Morphing- und andere CAD-Techniken eine Rotationsbewegung von erstaunlicher Penetranz erzeugen.

Bei dieser Gelegenheit kam es aber auch zu neuen Kontakten: Die kanadische Botschaft, das Arsenal, die Kuratorin Ariane Beyn saßen zusammen, und es verdichtete sich der Plan für eine übergreifende Michael-Snow-Veranstaltung, an der sich die Galerien Klosterfelde und Barbara Wien sowie die Kunst-Werke und das Arsenal beteiligen würden. Nach kaum einem halben Jahr ist das Ergebnis nun zu besichtigen.

Bei Klosterfelde gibt es die Installation „Hearing Aid“, das Recycling einer Arbeit von 1972, die aus einem Metronom und vier Kassettengeräten besteht. Das Metronom schlägt einen Takt, dieser wurde vom ersten Gerät aufgenommen, erneut abgespielt und wiederum aufgenommen. In der sukzessiven Akkumulation und durch das gleichzeitige Abspielen aller fünf Tonerzeuger entsteht ein Soundereignis, das seine Konstruktionsbedingungen ständig vorführt.

Die Reduktion auf grundlegende Einheiten spielt auch im Film „So Is This“ (1982) eine Rolle. „The film will consist of single words presented one after another to construct sentences and hopefully (this is where you come in) to convey meaning.“ Sätze wie dieser werden Wort für Wort abgefilmt und ergeben nicht nur einen Film mit einem kalkuliert „linguistischen“ Effekt. Es entsteht auch der Eindruck, dass man in Michael Snow nicht unbedingt einen strengen Konzeptualisten, sondern eher einen witzelnden Pragmatiker vor sich hat, der gleichzeitig immer den Rahmen aufbrechen will, den er sich selbst setzt.

Auf solcherart Humor beruht etwa „Waiting Room“ in den Kunst-Werken. In einen abgedunkelten, bestuhlten Raum mit einem Nummerndisplay auf der Stirnseite wird der Umgebungsschall der benachbarten Ausstellungsräume leise zugespielt. Eine Maschine gibt Tickets aus, die von 1 bis 50 nummeriert sind. Jeder neue Zuschauer aktiviert das Weiterspringen der Anzeige, und die Regeln wollen es, dass der neue einen alten Zuschauer verdrängt. Auch wenn keine Gefahr besteht, seinen Platz je räumen zu müssen, so bleibt doch der Eindruck, dass dieses Time-Piece auf einer unschönen Kommunikationsordnung steht.

Wesentlich mehr Offenheit bietet denn auch die Möglichkeit, sich im Vorderraum bei Klosterfelde und bei Barbara Wien durch kleinteilige Bestände zu bewegen. An sieben Arbeitstischen lassen sich Tonarbeiten abhören, die seit 1970 entstanden sind und die so divers sind wie sein übriges Werk. Snow hat auf ethnografische Aufzeichnungen ausgestorbener Sprachen (auf „The Last LP“, 1974) ebenso wie den Sound der Langwelle („2 Radio Solos“, 1980) zurückgegriffen oder, wie auf „Music for Piano, Whistling, Microphone, and Tape Recorder“ (1975) selbst produzierte Sounds sequenziert.

Ein kleiner, engagierter Beitrag findet sich in der Galerie von Barbara Wien, die auf einem Viermeterregal ein Dutzend hierzulande sehr rarer Künstlerbücher und Kataloge verfügbar macht. In den Neunzigern muss Snow noch einmal einen Drang zur Selbstrepräsentation verspürt haben, seitdem wurden eine Reihe von Kompilationen aufgelegt, die alle unter dem Übertitel „Michael Snow Projects“ laufen. Gleichgültig welchen Produktionsbereich sie abdecken, auch bescheidene Nachdrucke des Zettelkastens werden da zu einer „form of ‚art-making‘ “ erklärt. Die „Collected Writings“ von 1994 geben jedoch einen guten Einblick in seine gedankliche und personelle Umgebung zwischen den späten 50er- und 70er-Jahren.

Diese Möglichkeiten für eine neue Snow-Rezeption erzeugen einen eigenartig verschobenen Effekt. Der Berliner Marathon ist eine Mini-Retro, der aber ein wichtiges Element von Retrospektiven fehlt: die jahrzehntedicke Patina diverser Sichtweisen und Bewertungen. Mit dieser Patina verhält es sich wie mit Snows oben beschriebener Hörgerät-Installation: Das jeweils letzte Gerät nimmt die zusammengebackenen Informationen aller vorigen Stufen auf und verschlingt sie zu einem Sound, der sich aus Vergangenheit und Gegenwart zusammensetzt. Auf diese Wirkung kann Michael Snows Werk in Deutschland nicht bauen. Was also bleibt, ist ein gutmütiger Historismus, der ganz und gar unhistorisch ist.

MANFRED HERMES

„Bücher“, bis 20. 7. (danach 13. bis 24. 8)., Di.–Fr. 14–19, Sa. 12–18 Uhr, Galerie Barbara Wien, Linienstr. 158„Hearing Aid“, bis 20. 9., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Klosterfelde, Zimmerstr. 90/91„Waiting Room“, bis 7. 9, Di.–So. 12–18 Uhr, Kunst-Werke, Auguststr. 69Zur Ausstellungsreihe ist bei Supposé ein Katalog als CD erschienen